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Die Komplizen. Im Profil, frontal und im Gespräch mit einem Donut.

Manchmal verrät ein Interview mehr über jemanden als eine Bulletpoint-Liste oder eine Logo-Ansammlung. Selbst wenn es

ein Interview mit einem Donut

ist:

Hallo ihr beiden! Schön, dass ihr bereit seid, Euch mit einem Donut zu unterhalten. Das ist nicht selbstverständlich. Ich fang‘ mal direkt an: Ihr nennt Euch Komplizen, auch das ist nicht selbstverständlich. Was darf ich mir darunter vorstellen?

Daniela: Danke, dass Du uns interviewen möchtest. Passiert ja auch nicht alle Tage, dass man einen Donut als Interviewpartner hat. Also, Komplizen. Ganz grundsätzlich verstehen wir Komplizenschaft als etwas Positives, weil das Handeln dabei ein zentrales Motiv ist. Wir handeln, weil wir etwas bewirken möchten.

Stefan: Wir haben uns den Komplizenbegriff von Gesa Ziemer angeeignet. Sie ist Kulturwissenschaftlerin und hat den Begriff umgedeutet – von seinem kriminellen in einen konstruktiven Kontext. Das, was ihrer Ansicht nach Komplizenschaft ausmacht, hat uns gefallen, weil wir uns ganz persönlich darin wiedergefunden haben.

Und was hat es mit der Kultur auf sich? Ihr schreibt Euch Kommunikations- und Organisationskultur auf die Fahne, was genau heißt das für Euch?

Stefan: Die Kultur eines Unternehmens oder einer Organisation ist der wichtigste Faktor, wenn es um Veränderungen geht. Die Kultur, richtiger: die Kulturen, kann zwar nicht direkt beeinflusst werden, aber der Kontext und die Rahmenbedingungen, in denen man beobachten kann. Das Beobachten wiederum ist der erste Schritt, wenn wirksame Veränderungen gewünscht sind. Wir kennen eine Vielzahl an „Kulturveränderungsmaßnahmen“, die schlichtweg scheitern, weil zu kurzfristige Ergebnisse angestrebt werden. Kultur kann zwar kurzfristig beobachtet werden und die daraus abgeleiteten Maßnahmen führen zu einem Ergebnis. Aber damit verbessert sich meistens nichts.

Daniela: Die Kommunikation ist Teil der Kultur. Ohne Kommunikation funktioniert im Unternehmen gar nichts. Wenn also Veränderungen gewünscht sind, dann verändern sich zwangsläufig auch die Art der Kommunikation, die Kommunikationswege und -mittel – sowohl nach innen als auch nach außen. Es geht z.B. um Fragen der Transparenz: Welche Informationen sind für wen und wann zugänglich? Wieviel Kommunikation ist funktional notwendig und wieviel sorgt für sozialen Zusammenhalt? Diese Dinge schauen wir uns an, wenn wir in ein Unternehmen kommen.

Ok, das bedeutet, dass ihr Unternehmen unterstützt, die sich aktiv verändern und verbessern wollen, weil irgendwo etwas klemmt oder sich überlebt hat. Vielleicht fehlt es an Mitarbeiter:innen oder an innovativen Ideen für andere Geschäftsmodelle. Jetzt seid ihr keine studierten Organisationsentwickler, sondern seid langjährige Berufspraktiker. Hilft Euch die Praxis mehr als die Theorie?

Daniela: Ob es mehr hilft, kann ich so pauschal gar nicht sagen. Die theoretischen Modelle helfen in gewisser Weise, dass man Strukturen und Systeme überhaupt erst einmal erkennt, denn im täglichen Tun mache ich mir ja keine Gedanken darüber, ob ich mich z.B. gerade im Wettbewerbsquadranten des Competing Values Models befinde. Allerdings hat die Praxis den unschätzbaren Vorteil, dass ich kleinste Geschäftsprozesse und Ordnungsstrukturen aus dem eigenen Tun kenne. Ich erinnere mich daran, wie es in „meinen“ Firmen war und kann nachträglich darüber nachdenken, was dort warum passiert ist und welche Auswirkungen das auf mein Handeln hatte. Ich habe z.B. auch sehr sensible Sensoren für das Betriebsklima entwickelt. Das war mir persönlich immer wichtig, weil ich einen großen Teil meiner Zeit in der Firma verbracht habe und ich meine Arbeit nur gut machen konnte, wenn ich mich dort auch als Mensch wohlgefühlt habe, nicht nur als Arbeitsbiene. Firmen, die kein gutes Betriebsklima hatten, habe ich verlassen, ganz gleich wie gut das Gehalt oder die Karriereaussichten waren.

Stefan: Mir geht es ähnlich, ich schätze die Theorie, um zu verstehen, die Praxis jedoch ist gerade für die Beschäftigung mit Unternehmenskultur unverzichtbar. Mir hilft es sehr, praktisch erfahren zu haben, wie man gut und konstruktiv mit Kunden und Lieferanten umgeht. Nicht nur, wenn man direkt mit ihnen spricht, sondern auch wie man mit Kolleg:innen über sie spricht, wie Führungskräfte über sie sprechen. Da liegen mitunter Welten dazwischen und es zeigen sich Haltungen, die sich destruktiv auf einen gesamten Auftrag und die Geschäftsbeziehung auswirken können. Am Ende hat niemand etwas davon: das Team ist frustriert und demotiviert, der/die Kund:in unzufrieden, die Lieferanten verschweigen wichtige Informationen. Ökonomisch und sozial ist das eine Katastrophe.

Verstehe ich es richtig, dass ihr in Eurem Handeln die Themen Nachhaltigkeit, Klimawandel und sinnvolles Wirtschaften als selbstverständlich anseht?

Daniela: Ja, das ist richtig. Ich habe für einen Erneuerbare-Energien-Anbieter mit eigenen Wind- und Solaranlagen gearbeitet, für eine Zertifizierungsstelle für nachhaltigen Tourismus und für einen Umweltmanagementsystem-Anbieter – das volle Programm sozusagen und habe in dieser Zeit die größte Lernkurve meines bisherigen Lebens erfahren, was Systembewusstsein angeht. Wir wollen nicht mehr Ökonomie gegen Ökologie ausspielen. Wirtschaftsunternehmen sind – spätestens jetzt – an einem Punkt angelangt, an dem es ökonomisch notwendig geworden ist, Nachhaltigkeit ganzheitlich in alle Geschäftsprozesse zu integrieren. Um den Rahmen hier nicht zu sprengen, wer mag, darf sich gerne in meinen Publikationen weiter unten umschauen, dort kann man tiefer in meine Gedanken dazu einsteigen.

Stefan: Ich beschäftige mich schon länger mit dem Thema Kooperativen und ihrer Historie. Sie sind oft aus wirtschaftlichen Mangelsituationen entstanden und arbeiten selbstorganisiert. Alleine diese kooperative Struktur und den Sinn, den die Teilnehmenden in der Zusammenarbeit sehen, sorgen dafür, dass niemand andere benachteiligt oder exzessives Wachstum betreibt. Jeder hat seinen Platz, alle arbeiten gemeinsam für das große Ganze. Es wird nur so viel entnommen, wie nachwachsen kann. Das ist Nachhaltigkeit in seiner ursprünglichsten Form, wie Carl von Carlowitz sie formuliert hat. Ich sehe darin einen großen Entwicklungsschritt hinsichtlich einer zukunftsfähigen Zusammenarbeit.

Für Eure Arbeit habt ihr mich als Referenz gewählt, was mich ehrt. Also, genauer gesagt, die Idee der Donut-Ökonomie von Kate Raworth. Warum eigentlich?

 

Daniela: Es gibt eine ganze Reihe an Modellen, die Nachhaltigkeit abbilden – von der Triple Bottom Line über das Drei-Säulen-Modell bis zum Integrativen Nachhaltigkeitskonzept der Helmholtz Gemeinschaft. Es geht immer um den Dreiklang Ökonomie, Ökologie und Soziales. Im Moment ist, soweit ich weiß, das Integrative Nachhaltigkeitskonzept führend, welches auch die Wechselwirkungen zwischen den drei Sektoren berücksichtigt. Dieses Modell ist für die Forschung sehr sinnvoll, für die betriebliche Praxis unserer Ansicht nach aber recht abstrakt, man braucht konkrete Handlungsansätze um den Transfer in die Praxis zu schaffen. Beim Donut ist es einfacher – es geht um direkte soziale und ökologische Bedürfnisse, die Unternehmen berücksichtigen sollten.

Stefan: So ist es, wir wollen Silos aufbrechen und da scheint es uns sinnvoll in einer einzigen Form und integriert zu denken. Der ganze Donut ist Wirtschaft, was ja auch recht realitätsnah ist, denn wir sind bis ins Private hinein durchökonomisiert, bezahlte Arbeit bestimmt unsere Stellung in der Gesellschaft. Die Wirtschaft ist ganz natürlicherweise durch ökologische planetare Grenzen eingeschränkt, wir können nun einmal nur in einer bestimmten Zone oberhalb unserer Erdkruste überleben. Und sobald die Wirtschaft ausbeuterisch wird – ökologisch und sozial – zerstört sie sich selbst, d.h. das Loch in der Mitte des Donuts symbolisiert den Mangel, der Raum außerhalb des Donuts, eine lebensfeindliche Umgebung.

Ich danke Euch für das Gespräch und wünsche Euch frohes Schaffen.

 

 

Daniela und Stefan: Dankeschön an Dich.

Daniela: Sag‘ mal, haben wir wirklich gerade mit einem Donut geredet?

Stefan: Ich glaube, ja. Wir sollten das aber besser für uns behalten.

Daniela: Aber er war vegan, oder?

Stefan: Klar, ich hab‘ frisches Sonnenblumenöl gerochen.

Kopföffner für besseres Wirtschaften

E-Book, Hrsg. Stephan Grabmeier/BertelsmannStiftung, Kopföffner für besseres Wirtschaften; 2019

Daniela Röcker - Von Old Work zu New Work: Die Brücke heißt Ambidextrie oder hybride Organisation

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CSR und Digitalisierung

Sammelband, Hrsg. Alexandra Hildebrandt u. Werner Landhäußer; CSR und Digitalisierung – Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft; 2017

Daniela Röcker – Komplexität braucht neue Formen der Zusammenarbeit

Circular Thinking 21.0

Kindle-Edition, Hrsg. Alexandra Hildebrandt u. Claudia Silber;
Circular Thinking 21.0 – Wie wir die Welt wieder rund machen; 2016

Daniela Röcker – Cradle to Cradle als strategischer Bestandteil von CSR

Der Erlös dieser Edition geht an HORIZONTE e.V. – Der gemeinnützige Verein wurde 1997 von der Schauspielerin Jutta Speidel gegründet und hilft wohnungslosen Müttern und deren Kindern schnell und unbürokratisch.

 

Gesellschaftliche Verantwortung im Mittelstand

Abschlussbroschüre im Rahmen des bundesweiten Projekts „Gesellschaftliche Verantwortung im Mittelstand“, 2014

Daniela Röcker/Ilyta La Combe – CSR im Tourismus – nachhaltig Reisen (für kate e.V., Stuttgart)

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Kulturkomplizin - KK:in

Bestimmt habt ihr schon das eine oder andere Mal von der „sozialen Plastik“ gehört. Die soziale Plastik gehört zum erweiterten Kunstbegriff von Joseph Beuys und prägt auch unser Denken und Handeln. Wir sind beide Facilitater für das „Earth Forum“, einer ästhetischen Praxis nach Prof. Shelley Sacks, einer Beuys-Schülerin, die an der Oxford Brookes University die Social Sculpture Research Unit gründete. Wer mehr über die soziale Plastik in der Praxis erfahren möchte, schaut einfach mal auf die Website von Daniela: https://kultur-komplizin.de/