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Immer öfter höre ich in letzter Zeit den Ausruf „Wir müssen kooperieren, statt zu konkurrieren!“. Meistens geht dieser Aufruf einher mit zynischer Kritik am Kapitalismus und dem mutmaßlichen Lösungsvorschlag, dass es unbedingt ein bedingungsloses Grundeinkommen braucht, wenn „die“ Digitalisierung denn endlich käme und eine Unmenge an Jobs wegfiele.

Ich bin sicher keine Gegnerin der Idee eines wie auch immer gearteten auskömmlichen Grundeinkommens, aber ich zweifle an einfachen Kausalketten („Grundeinkommen bedeutet mehr Kooperation, mehr Kooperation führt zu weniger Kapitalismus“) und ich halte dieses „Entweder-Oder“-Schema in vielen Debatten und Diskursen für nicht mehr zeitgemäß und empfinde es als handlungslähmend. Selten definiert jemand, der den oben genannten Satz äußert, wen sie oder er denn mit „wir“ genau meint, geschweige denn, in welchem Umfang und in welcher Form dieses „kooperieren“ stattfinden soll. Gleichzeitig ärgere ich mich über den reinen Zynismus, mit dem fundamentale Kapitalismuskritik geäußert wird – auch Zynismus lähmt.

Kooperation und Genossenschaft

Dennoch treibt mich das Thema Kooperation im Wirtschaftskontext schon seit langer Zeit um, denn natürlich ist für mich klar, dass wir eine deutlich weniger destruktive Art des Wirtschaftens brauchen, wenn es auch den nachfolgenden Generationen gut gehen soll. Daher war ich dankbar für einen Hinweis einer venezolanischen Studentin, die vor längerer Zeit den Begriff „Cooperativa“ in eine Gesprächsrunde warf. Kurz zuvor erst hatte ich das Buch „Commons“ von Silke Helfrich verschlungen und Elinor Ostroms Beiträge zur Gemeingüterforschung, der ersten und bisher einzigen Frau, die den Wirtschaftsnobelpreis erhielt.

Die Praxis der Allmenden und Gemeingüter aus früheren Zeiten, die Land und Ressourcen für alle zur Verfügung stellte, fand ich spannend und hatte mich längst gefragt, ob es nicht möglich wäre, diese Gemeinschaftsformen neu und groß zu denken, statt sie nur in alternativen Lebens- und Arbeitsgemeinschaften meist abseits von urbanem Raum zu praktizieren und sie mit Modellen wie z.B. der Genossenschaften zu koppeln. Aus der Historie heraus haben sich schließlich weltweit eine Vielzahl landwirtschaftlicher Kooperativen entwickelt, die gemeinsame Ressourcen nutzen. Warum nicht über die Landwirtschaft hinausdenken und mit vielfältigen und ausbalancierten Kooperationen experimentieren, die nicht ins andere Extrem reiner profit- und machtgetriebener Absprachen verfallen?

Blitzlicht: Historie der Genossenschaften in Deutschland

Genossenschaften und Kooperativen haben auch in Deutschland eine lange Geschichte, die bis in vormoderne und vorindustrielle Zeiten zurückreicht, z.B. Weidegenossenschaften germanischer Sippschaften, die Verwaltung von Marschland in Friesland und im Spätmittelalter z.B. die Murgschifferschaft im Nordschwarzwald für den Holzhandel. Die „soziale Frage“, die sich in Deutschland im Zuge der Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts stellte, veranlasste Friedrich Wilhelm Raiffeisen (im ländlichen Raum; 1849, Flammersfelder Hülfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte) und Hermann Schulze-Delitzsch (im städtischen Raum; 1849, Tischler- und Schuhmacher-Assoziation, Delitzscher Zuschussverein) zur Gründung von Genossenschaften in Form von Darlehenskassen. Diese sollten die Lebenssituation von Bauern, Handwerkern und Fabrikarbeitern verbessern. Beide gelten heute als Gründerväter des deutschen Genossenschaftswesens, ihr Erbe findet heute sich u.a. in den Genossenschaftsbanken (z.B. Volksbanken, Sparda-Banken, PSD-Banken, GLS).

Genossenschaften international

Den meisten Genossenschaften ist gemein, dass es Zusammenschlüsse einer Branche oder eines Bereiches sind (Konsumgenossenschaften wie z.B. Deutsches Milchkontor, Edeka, Rewe), was zunächst nachvollziehbar und wirtschaftlich sinnvoll scheint. In der Gesprächsrunde, die ich oben erwähnte, erfuhr ich von der Studentin, dass es insbesondere in Spanien eine lange Tradition von kooperativen Gemeinschaften gibt, die auch branchenübergreifend agieren.

Die weltweit größte und global agierende Kooperative ist die 1956 gegründete Mondragón Corporación Cooperativa (MCC) im baskischen Mondragón. Zu ihr zählen mehr als 120 Unternehmen und rund 80.000 Mitarbeitende aus den Bereichen Maschinenbau, Automobilindustrie, Haushaltsgeräte, Bauindustrie, Einzelhandel, Banken und Versicherungen. In auftragsschwachen Zeiten wechseln Mitarbeitende aus geschwächten Unternehmen in andere Unternehmen der Kooperative. Das Tagesgeschäft verantwortet ein „Regierender Rat“, der auf der Jahreshauptversammlung gewählt wird. Leitende Angestellte verdienen durchschnittlich höchstens fünfmal so viel wie Arbeiter.

Kritik am Modell der Genossenschaft

So wunderbar solidarisch sich das Genossenschaftsmodell anhört und es auch reale Beispiele gibt, die offensichtlich funktionieren, kann es sein, dass es nicht DAS eine Modell ist, das für alles taugt. Sven Giegold, EU-Abgeordneter der Grünen, formuliert in einem taz-Artikel (Sozialismus ohne Klassenkampf, 27.07.19) folgende Kritik:

„Genossenschaften sind weniger innovativ.“ In Genossenschaften gibt es keine Unternehmer und Arbeitnehmer, keine strikte Trennung von Kapital und Arbeit. Daher schlage das Bedürfnis der Arbeitenden nach Stabilität stärker durch – und das bremse das Gewinnstreben. Genossenschaften seien deshalb in der Geschichte „in Branchen mit hohem Innovationsbedarf fast immer von der Konkurrenz vom Markt verdrängt worden“.

Ich bin nicht sicher, ob der kausale Schluss, dass Stabilität Gewinnstreben und Innovation behindern würde zutrifft, kann ihn aber auch mangels weiterer Gegenbeweise nicht widerlegen. Allerdings scheint es mir kontraproduktiv, pauschal zu argumentieren.

Regionale Kooperationen und Genossenschaftszentren

Nehmen wir an, dass der Kapitalismus uns noch eine ganze Weile begleiten wird und nehmen wir an, dass seine negativen Auswirkungen möglicherweise noch stärker werden. Nehmen wir andererseits aber auch an, dass es fair wäre, Regionen, die wirtschaftlich bisher schlechter gestellt sind als die Industrienationen und unsere materiellen Standards für erstrebenswert erachten, grundsätzlich von einem „guten“ Kapitalismus profitieren zu lassen. Dann sind Unternehmen weiterhin sowohl global tätig als auch global abhängig. Ein Ausstieg aus diesem System, sollte er denn gewünscht sein, wäre somit nicht einfach. Könnte es aber eine Überlegung wert sein – Achtung ich verwende ein „böses“ Wort – sozialistische und solidarische Konzepte marktwirtschaftlich stärker mitzudenken?

Frithjof Bergmann hatte in seiner NewWork/NewCulture-Idee bereits von der dezentralen High-Tech-Eigenproduktion gesprochen, also von kleinen Produktionseinheiten, die sich regional selbst organisieren und versorgen. Seit Jahren gibt es Versuche von kleinen Gemeinden, sich mit Regionalgeld unabhängiger zu machen. Transition Town Initiativen bauen in Stadtgärten Obst und Gemüse für Bürger*innen frei verfügbar an.

Nur mal so ins Blaue gedacht: Was hindert uns, gerade im kleinteilig-föderalistisch geprägten Deutschland mit vielen lebendigen Städten, regionale Kooperativen und Bündnisse verschiedenster Branchen und Bereiche zu testen? Die je nach regionalem Schwerpunkt, Teile ihrer Dienstleistungen und Produkte regional vermarkten, Ressourcen und Material nachhaltig und in Kreisläufen organisieren? Warum nicht über den Unternehmenskontext hinausdenken und Kooperationen mit kommunalen und sozialwirtschaftlichen Institutionen, Vereinen, Bau- und Mietgenossenschaften, zivilgesellschaftlichen Initiativen, Landwirtschaftsbetrieben, Kulturbetrieben, Mobilitätsinitiativen, und, und, und… überlegen? Im CSR-Kontext finden solche Kooperationen längst statt – leider nur unter dem Label gesellschaftliches Engagement. Aber es könnte weit darüber hinausgehen. Utopische Idee? Ja. Noch…

 

Bis neulich,
Daniela

 

Zum Weiterlesen:
Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat; Silke Helfrich/Heinr.-Böll-Stiftung
https://www.mondragon-corporation.com/en/
http://genossenschaftsgeschichte.info/ 

Bildquellennachweis: pixabay, CC-0 Lizenz gemeinfrei, bearbeitet