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Hallo Ihr da!

Man kann Euch nicht ignorieren. Ständig ist von Euch die Rede – Generation Y. Ihr seid das Angstbild, dass man in den Führungsetagen schneller heraufbeschwören kann, als Hermine Granger energisch „Alohomora“ gebrüllt hat. Das Thema „sinnstiftende Arbeit“ treibt uns – der Generation X, wobei hier keine homogene Gruppe gemeint ist (gilt ebensowenig übrigens für die Gen Y), sondern nur ein gewisser Ausschnitt davon – die Tränen in die Augen, weil wir, als wir auf den Arbeitsmarkt strömten, froh waren, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu finden. Denn die, die nicht vor hatten zu studieren oder Abitur zu machen – aus welchen Gründen auch immer, suchten sich kaufmännische Ausbildungsberufe. Diese versprachen eine gute Zukunft – laut Aussage unserer Eltern. Nein, es war noch nicht üblich, dass die Mehrzahl aller Schüler Abitur machte.

Jobsuche in den späten 1980ern

Wer eine Ausbildungsstelle als Industrie- oder Bankkaufmann oder -kauffrau ergatterte, hatte – nach damals herrschender Meinung – ausgesorgt. Der Film „Wall Street“ mit Michael Douglas als Gordon Gecko war 1987 nicht zufällig einer der Blockbuster dieser Zeit – so sah ein großer Teil unserer Generation das Szenario Wirtschaft. Könnt ihr Euch vorstellen, dass es Mitte der 1980er Jahre in öffentlichen Institutionen und Großunternehmen, bevor es zum eigentlichen Vorstellungsgespräch kam, sogenannte Einstellungstests gab? Je nachdem wie attraktiv ein Unternehmen war, tummelten sich bei einem solchen Test locker rund 100-150 Ausbildungswillige und ließen sich ihr Wissen über Politik, Geschichte, Prozentrechnen, Fremdsprachen oder Räumliches Vorstellungsvermögen abfragen (ein bisschen so, wie heute eine Wohnungsbesichtigung in Berlin, Stuttgart oder München aussieht). Nein, kein Online-Test. Old School. Per Hand mit Kuli auf Papier. Erst wenn man einen solchen Test bestanden hatte, kam man in die nächste Runde und hatte die Chance auf ein Vorstellungsgespräch. Wenn man hier nicht zu denen gehörte, die diese Tests mit nonchalanter Lässigkeit hinter sich brachten, holte man sich ein Frusterlebnis nach dem anderen. Am Ende blieb man dort hängen, wo endlich ein Vorstellungsgespräch zur Einstellung führte.

Bulimie-Lernen für unterbezahlte Praktika

Ja, ich weiß, der Generation Y geht es ähnlich – auf einer anderen Ebene – aber ähnlich. Ihr habt den Begriff „Bulimie-Lernen“ erfunden und in die Tat umgesetzt. Ihr habt unzählige, mies oder gar nicht bezahlte Praktika hinter Euch. Hangelt Euch von einem Teilzeit-Job zum nächsten oder habt befristete Verträge. Wir dagegen sitzen – Eurer Meinung nach – bräsig im mittleren oder gehobenen Management, sind erfolgreiche Freiberufler oder selbständige Unternehmer. Damit habt ihr völlig Recht. Viele von uns sind so. Viele von uns haben auch Angst, dass ihr uns die Arbeitsplätze wegschnappt, denken, dass ihr keine Ahnung habt, wie der Hase läuft und dass man Euch erst einmal Anstand und Manieren beibringen muss.

Generation Y und Generation X: mehr Gemeinsames als Trennendes

Ja, diese Gen Xler gibt es. Aber es gibt auch genauso viele Xler, die ihren Job nicht mögen. Weil er zu stressig ist, zu aufzehrend, zu ungerecht und nicht mit einem ausgeglichenen Leben vereinbar. Zu Recht sagt ihr „So wollen wir nicht leben“ und verachtet uns für unseren Gehorsam, unsere Unterwürfigkeit. Allerdings: Auch wir hatten diesen Traum, dass die Welt uns erwartet. Dass wir einen Job bekommen, der uns Spaß machen würde und mit dem wir gut leben würden. Wir dachten nicht an unbezahlte Überstunden, an cholerische Chefs, an Mobbing unter Kollegen und schon gar nicht daran, dass das Gehalt am Ende nicht für ein gutes Leben reichen würde.

Jedoch haben viele von uns im Laufe der Zeit resigniert, vergessen, sich angepasst. Kennt ihr die Geschichte über den Zirkuselefanten von Jorge Bucay? Die Kurzform: Ein Junge sieht im Zirkus einen großen, starken Elefanten, der mit einer Kette an einen lächerlich kleinen Pflock angebunden ist. Der Junge fragt sich, warum der Elefant sich nicht losreißt, obwohl er es könnte. Irgendjemand hat die Antwort: Zirkuselefanten reißen nicht aus, weil sie schon als junger Elefant angekettet werden.

Erkennt ihr die Tragweite? Vielleicht sind wir dieser Elefant und vielleicht haben wir zu Anfang unserer beruflichen Laufbahn versucht, uns aufzulehnen. Vielleicht haben wir die Erfahrung gemacht, dass Auflehnen uns nicht gut tut, weil wir dafür mit bösen Blicken, Abmahnungen oder gar Kündigungen bestraft werden. Vielleicht haben wir auch erfahren, dass wir die einzigen waren, die sich auflehnten und niemand um uns herum auf die Idee kam, das Gleiche zu tun. Vielleicht kamen auch im Laufe unseres Lebens mehr Pflöcke mit Ketten hinzu – Familie, Kinder, Hausbau, Statussymbole, Konsumwerte, Gruppenzwang. Und vielleicht haben wir irgendwann aufgegeben uns aufzulehnen und haben uns angepasst.

Laßt uns kooperieren!

Nun sehen wir Euch, die sogenannte Generation Y. Aber eigentlich sehen wir uns und unsere alten, vergrabenen Wünsche. Wir sehen aber noch mehr. Ihr seid nicht stärker, als wir es damals waren, aber ihr habt nun Zirkusdirektoren, die, obwohl ihr angebunden seid, Angst vor Euch haben. Und Angst ist keine gute Basis.

Deshalb laßt uns kooperieren. Laßt uns zusammen die Arbeitswelt so gestalten, dass alle davon profitieren. Laßt uns den Zirkusdirektoren die Angst nehmen und ihnen zeigen, dass es besser ist, wenn Mitarbeitende nicht an der Kette liegen. Zeigen wir ihnen, dass der Zirkus auch ohne Ketten funktioniert.

 

Herzliche Grüße
Daniela

 

Hier gibts die Geschichte des Elefanten zum Anhören:

www.youtube.com/watch?v=ueO7To7uXao

 

Bildquelle: Unsplash über Pixabay, CC-0gemeinfrei