„Mir sind die Hände gebunden“…
„Das sind die Rahmenbedingungen und damit müssen wir leben. Daran können wir nichts ändern.“, „Ich persönlich bin ja dagegen, aber…“ – Kommen Ihnen diese Sätze bekannt vor? Vielleicht haben Sie sie selbst schon verwendet? Dann wird es höchste Zeit, sich einmal selbst von außen anzuschauen.
Unser Verstand ist im Alltag ganz gerne ein Arschloch, denn er verführt uns dazu, dass wir unseren Körper ignorieren. Er arbeitet mit Wissen, dass wir uns angeeignet haben – durch Erziehung, Umwelt, Schule, Medien, Kultur, etc.. Er ordnet dieses Wissen Prozessen zu und formt diese wiederum zu Verhaltensweisen, die er abrufen kann, wenn er Analogien entdeckt. Das ist in vielen Situationen richtig gut, in noch mehr Situationen aber nicht.
Nehmen wir an, Sie arbeiten in einem Atomkraftwerk. Nehmen wir außerdem an, Sie heißen Homer Simpson, haben eine Frau und zwei Kinder. Ihr beruflicher Werdegang und ihre Schulbildung sind eher bescheiden zu nennen. Ihr geistiger Horizont endete bisher an der Oberkante ihres Fernsehers. Eines Tages zappen Sie lustig zwischen den Kanälen hin und her und bleiben aus Versehen an einer Dokumentation über Atomkatastrophen hängen. Eigentlich nur deshalb, weil eine Riesenexplosion zu sehen ist und sie Explosionen toll finden. Deshalb hören Sie auch nur mit halbem Ohr, was der Sprecher dazu erzählt. Nichtsdestotrotz finden gewisse Bilder aus der Doku in ihrem Hirn Platz und nach der Sendung haben Sie eine leise Ahnung, dass Atomkraftwerke nicht der Menschheit letzter Schluss zur Energieversorgung sein können.
Ihr Horizont ist mit einem Mal etwas weiter geworden. Am Montag im Kraftwerk haben Sie die Doku jedoch wieder vergessen und machen ihren Dienst wie immer. Im Laufe der nächsten Wochen passieren ein paar kleinere Unfälle an ihrem Arbeitsplatz und im Supermarkt erzählt man sich von einem Atomkraftwerk drei Nachbarstädte entfernt, in dessen Umfeld Langzeitschäden bei Mitarbeitern auftreten, die auf deren Tätigkeit im Kraftwerk zurückzuführen sind.
Eine ältere Dame, die noch nicht lange in ihrem Städtchen wohnt, erzählt von einem Land, in dem weite Landstriche nach einer Katastrophe unbewohnbar wurden. In denen es auch Jahre nach dem Unfall keine Tiere mehr gibt. Stückchen für Stückchen setzen sich bei Ihnen Informationen fest, die Sie mit an Ihren Arbeitsplatz nehmen und die Sie nicht froh machen. Um nun ihrer Arbeit wie gewöhnlich nachgehen zu können, baut ihr Verstand nun für Sie eine Art Matrix zusammen. In dieser Matrix sind Sie weder Familienvater noch neugieriger Mensch. Sie sind engagierter und loyaler Mitarbeiter und in dieser Funktion blenden Sie die bösen Bilder aus, denn sie schaden dem Arbeitsfluss.
Das funktioniert wunderbar, solange es keine Zwischenfälle gibt. Sogar die internen Unfälle können sie relativieren. Vermutlich war der betroffene Kollege selbst schuld, hätte er die Vorschriften eingehalten, wäre nichts passiert. Und wenn Sie tatsächlich einmal gefragt werden, wie Sie denn angesichts der Atomkatastrophe in Fukushima noch in diesem Unternehmen arbeiten können, antworten Sie, dass Ihnen die Hände gebunden sind. Wir müssen damit leben, der einzige Arbeitgeber am Ort, Infrastruktur, etc..
Ist das wirklich so? Müssen Sie damit leben? Ist ihre Situation alternativlos? Vielleicht ist sie das, aber das wissen Sie erst, wenn Sie es ausprobieren. Wenn ihre persönliche Einstellung und die Zielsetzung ihres Unternehmens nicht mehr übereinstimmen oder sich wenigstens weitgehend annähern, sollten Sie nicht stumm bleiben und die Situation aushalten. Ihre Geschäftsleitung ist möglicherweise genauso hilflos was die Zukunft angeht.
Es liegt an Ihnen und ihren Kollegen, etwas zu ändern – sie sollten reden. Das heißt nicht, dass Sie kündigen und umziehen müssen. Aber Ihre Firma muss ja nicht auf alle Zeiten ein Atomkraftwerk bleiben. Sie könnte auch ein ganz anderes Ziel haben und trotzdem weiter ihr Arbeitgeber bleiben. Aber dafür braucht es innovative Köpfe und den Willen zur Veränderung – und den Blick über den Tellerrand oder auch einfach nur über die Oberkante des Fernsehers.