„Design Thinking ist keine Methode, sondern sie erfordert ein anderes Mindset.“, belehrte mich die Dame mittleren Alters, deren Vortrag ich dieser Tage lauschen durfte. Es war einer dieser „Innovation Talks“, bei denen kluge Menschen, oft Männer in Sakkos, kleingemusterten Hemden und bunten Schuhen, kluge Dinge über die Zukunft sagen. Frauen gibt es dort recht wenige und wenn, dann sind sie eher leise. Oft fallen bei diesen Veranstaltungen Wörter wie „Disruptive Innovation“ oder „Artificial Intelligence“, insbesondere, wenn die Vortragenden ihren Vortrag komplett auf Deutsch halten.
Diese vortragende Dame, in korrektem Business-Grau, erzählte uns wie sehr Design Thinking ihre Sichtweise und die ihres Teams verändert hätte. Man hätte durch die kreative Arbeit ein völlig anderes Verständnis vom Kunden bekommen, von seinen Lebenswelten und Bedürfnissen. Sie sprach von „Personas“ und „Nutzen“. Sie arbeitete bei der Deutschen Bank.
Was ist Design Thinking?
Der Ansatz des Design Thinking wurde von IDEO, einer amerikanischen Design-Agentur, entwickelt und zunächst an der Stanford University adaptiert. Die weitere Entwicklung förderte maßgeblich SAP-Gründer Hasso Plattner, der 2005 die „d.school“ – Hasso Plattner Institute of Design gründete. Seit 2007 wird Design Thinking am privaten Hasso-Plattner-Institut in Potsdam gelehrt. Der Begriff Design Thinking ist nicht trennscharf zu formulieren: Einerseits wird er sehr allgemein als „systematische Herangehensweise an komplexe Problemstellungen aus allen Lebensbereichen“ (HPI Academy) verstanden. Andererseits und enger gefasst fokussiert er explizit Nutzerwünsche und -bedürfnisse. Die zweite Definition scheint m.E. stimmiger, da sie sich auch explizit im Begriff „Design“ widerspiegelt. Wesentliche Elemente von DT sind ein strukturierter Prozess und Prototyping.
„Design Thinking nimmt die menschliche Perspektive zum Ausgangspunkt der Zielstellung, innovative Produkte, Services oder Erlebnisse zu gestalten, die nicht nur attraktiv, sondern auch realisierbar und marktfähig sind.“ (HPI Academy)
„Um-zu“-Methode
Mitunter werden wir gefragt: „Ihr macht doch sowas wie Design Thinking, ja?“. Nein, machen wir nicht. Ausdrücklich nicht. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Wir halten Design Thinking für eine sehr gute Möglichkeit zur Produktentwicklung. Wir halten es auch durchaus für möglich, dass dieser kreative Prozess in die Unternehmenskultur hineinwirkt oder in die Unternehmensentwicklung. Dennoch: Design Thinking bleibt eine „Um-zu“-Methode, d.h. man macht etwas, um ein vorgegebenes Ziel zu erreichen. In diesem Falle den Kunden und sein potentielles Bedürfnis. Dazu wird er anhand von Personas kategorisiert. Darauf aufbauend wird ein Produkt/eine Dienstleistung neu entwickelt oder Vorhandenes angepasst. Design Thinking kann ergänzend der nachhaltigen Unternehmensentwicklung oder –transformation dienen, als alleiniges Heilmittel ist sie ungeeignet. Was uns genau beim Design Thinking Prozess fehlt, ist die tiefergehende Selbstreflexion und das wirklich freie Denken.
Die Soziale Skulptur
Die Arbeit an und mit der Sozialen Plastik (Sozialen Skulptur) nach Joseph Beuys braucht Übung, weil wir es nicht gewohnt sind, genau und wertfrei zu beobachten. Diese Fähigkeit wird bereits ab Kleinkindalter überlagert mit zunehmender Anpassung an unsere Umgebung. Diese wertfreie beobachtende Fähigkeit identifiziert zunächst keine Probleme und hat demnach auch keine direkte Zielgerichtetheit. Sie beobachtet Phänomene, Situationen, Dinge – zunächst in ihrem unmittelbaren Umfeld und dann darüber hinaus in weitere angrenzende Bereiche. Alle Bereiche sind durchlässig und miteinander verwoben. Nach der Beobachtung erfolgt eine erste Reflexion über das Beobachtete. Diese erste Reflexion geschieht immer im eigenen, sehr individuellen Erfahrungshorizont. Im weiteren Verlauf des (Denk-)prozesses und im dialogischen empathischen Austausch werden Systeme und Perspektiven sichtbar und damit auch mögliche Probleme. Fragen tauchen auf. Kann es gut sein, wie es gerade läuft? Weitere Reflexionen öffnen weitere Denkfelder. Die Soziale-Plastik-Arbeit hat somit immer eine Zweckfreiheit und ein Potential als Ausgangspunkt – keine Problemstellung.
Wann ist ein Problem ein Problem?
Unser menschliches Verständnis von einem Problem ist, dass ein Problem ein unerwünschter Zustand ist, der behoben werden sollte. Achtung, jetzt wird es abstrakt: Um ein Problem als solches zu definieren, sind mindestens zwei Pole innerhalb eines Kontextes notwendig. Ein Pol, der definiert, dass etwas aus seiner Sicht ein Problem ist und ein weiterer Pol, der unter ähnlichen Annahmen diese Definition anerkennt. Ein Problem ist daher nicht wertfrei, denn beide Pole grenzen es von Nicht-Problemen ab und versehen es dadurch mit einer Wertigkeit. Jeder Pol hat andere Perspektiven und Vorstellungen, wie das identifizierte Problem behoben werden kann und gewichtet es höher oder niedriger je nach Kontext. Auch der Kontext ist nicht wertfrei, denn in diesem kann sowohl der eine oder der andere Pol mächtiger werden und seine Lösungsstrategie durchsetzen.
Ist ein Problem oder wird es?
In der Sozialen-Plastik-Arbeit gehen wir noch tiefer: Wir stellen die Frage nach der Wesenheit einer Sache oder eines Phänomens. Ist ein Problem tatsächlich da oder wird es erst in der Zeit und im speziellen Kontext dazu? Was wäre, wenn das Problem keines wäre? Es geht um Fragen der Kommunikation und der für uns (noch) unsichtbaren Beziehungen in einem Feld verschiedenster Kontexte. Wir selbst hinterfragen uns als Beobachter. Im kreativ-künstlerischen Prozess stellen sich uns diese Fragen ganz automatisch, aber es braucht den Raum dazu.
Innovatives Prototyping braucht Unschärfe
Prototyping ist ein zentraler Aspekt im Design Thinking, was wunderbar ist. Ein unfertiges Produkt wird wie auch im Scrum-Prozess durch Reviews verbessert und weiter angepasst, bis das Zielprodukt herauskommt. Kann man so machen und ist bei klar definierten Zielen eine gute Möglichkeit. Die sogenannten disruptiven Innovationen entstehen dadurch nicht. Dazu braucht es u.a. Unschärfe, Unplanbarkeit, vage Visionen und Abstraktionsfähigkeit.
Ich bin sicher, dass es in manchen Teams gelingt, wirklich gute Prototypen herzustellen. Dieses Ergebnis ist jedoch m.E. nicht vom Prozess abhängig, sondern von den Personen, die zusammenarbeiten. Diese Personen kommen auch ohne vorher festgelegte Methoden zu klugen Lösungen, weil sie zu interdisziplinärem, vernetztem Denken und komplizenhafter Kollaboration fähig sind. Wende ich Design Thinking prozesshaft und mit definiertem Ziel an, in einem Umfeld, in dem solche Menschen fehlen oder nicht wahrgenommen werden, wird aufgrund bisheriger Annahmen reproduziert. Das muss nicht zwingend schlecht sein, denn nicht immer müssen Veränderungen groß sein.
Moonshot für große Ideen
Will man jedoch in den Bereich größerer Veränderungen kommen, muss die Zielsetzung weichen und der Vision Platz machen. Bei Google nennt man das in einem eher technologischen Verständnis „Moonshot“: Projektideen, die ohne irgendeine Erfahrung, Prüfung oder gar Gewinnaussichten realisiert werden. „Moonshot“ könnte man den Raum nennen, der möglich wird, wenn nicht „out of the box“ sondern „without a box“ gedacht werden darf. „Moonshot“ ist explizit in der Sozialen Plastik vorhanden.
Mit Design Thinking kann vieles gut werden – innerhalb eines Rahmens, den ein Unternehmen zulässt. Verwenden Sie Design Thinking für die Produktentwicklung und um sich einer Kundenzentriertheit zu nähern. Wollen Sie höher hinaus, ist die Soziale-Plastik-Arbeit die bessere Wahl. Laut Aussage des Hasso-Plattner-Instituts stellt die Anwendung von Design Thinking den Menschen in den Mittelpunkt. Hier darf nachgefragt werden, wer ihn aus welcher Perspektive betrachtet und warum. Wo und was ist dieser Mittelpunkt eigentlich?
Herzliche Grüße
Daniela
Zum Weiterlesen:
http://hpi-academy.de/design-thinking/was-ist-design-thinking.html
https://www.youtube.com/watch?v=0uaquGZKx_0
Bildquelle: Pixabay