Manchmal kommt es anders als man denkt…
Für meinen zweiten Blogbeitrag unserer Bowie-Reihe grübelte ich ein paar Tage, über welchen Song ich schreibe. Keinen der »uncoolen«, im Mainstream verankerten 80er-Titel, das hatte ich mir vorgenommen – es kam anders. Aus aktuellem Anlass entschied ich mich für ein Lied, das alle kennen und kommerziell eines der erfolgreichsten von David Bowie ist. Der Hintergrund des Stücks ist heute nahezu unbekannt, ebendarum möchte ich ihn hervorholen. »Put on your red shoes and dance the blues« – es geht um »Let´s Dance«.
Bei der Recherche nach einem Bowie-Thema stolperte ich über das Video zu »Let´s dance«. Tatsächlich hatte ich dieses bis dato nicht wahrgenommen, bzw. mir keine Gedanken darüber gemacht. Rasch merkte ich, dass hinter dem Stück mehr verborgen liegt, als mir bewusst war und es abseits der Musik Gründe gibt, intensiver darauf einzugehen. Denn Bowie setzt in dem Clip ein Zeichen für Integration und gegen Rassismus. Außerdem ebnete das Stück einem schwarzen Musiker den Weg in die Welt der »weißen Musik« und gab der Karriere eines Gitarristen einen Schub nach vorne.
Mainstream-Pop mit Hintergrund
»Let´s Dance« entstand 1983 als eine Mischung aus Rock, Soul, New Wave und Funk. Dieser Mix ergibt im Endeffekt einen gefälligen, gut tanzbaren Pop-Song mit Ohrwurm-Qualitäten. Sein Anspruch war eindeutig und wurde vom Sänger klar formuliert; er versuchte, eine breiter gefächerte Masse als bisher mit dieser Musik zu erreichen. Was mit »Let´s Dance« unverkennbar gelang, der Song ist bis heute einer der am meisten verkauften Bowie-Titel.
Der Text erscheint vielen auf den ersten Blick wie ein Liebeslied, aber es lohnt, ihn genauer zu betrachten. Gleich der Einstieg bietet, typisch Bowie, üppig Raum für Interpretationen: »Let´s dance – Put on your red shoes and dance the blues«. Bei vielen Kunstwerken ist es schwer, den Sinn dahinter zu erfassen, ohne die Hintergründe zu kennen. Bei »Let´s Dance« ist es ähnlich, wenn ausschließlich die Musik und der Text betrachtet werden. Das Video wird, untypisch für Bowie, schon viel konkreter. Gedreht im australischen Outback, behandelt es das Leben der Aboriginal (Die Bezeichnung „Aborigines“ ist nicht frei von Rassismus und wird im englischen Sprachgebrauch als Abwertung verstanden) in der westlich geprägten Welt des fünften Kontinents. Oder um es mit dem Künstler direkt zu sagen: »a direct statement about integration of one culture with another«. Wie verbindet man zwei Kulturen miteinander? Das Video kann dazu nur ein Anstoß sein, um auf die Situation aufmerksam machen, zum Nachdenken anregen. Was darin passiert, will ich kurz darstellen.
Das Video – eine untypisch klare Aussage
Das Video beginnt in einem Pub in einem bescheidenen Dorf, in dem Bowie das Lied vor den anwesenden Gästen spielt. Die Zuschauer sind überwiegend weiß, dazwischen eine kleine Gruppe Aboriginals. Ein angejahrter Australier tanzt und amüsiert sich augenfällig köstlich. In der nächsten Einstellung laufen die Aboriginals aus dem Pub durch das Outback und finden ein paar rote Damenschuhe. Ein Mädchen aus der Gruppe zieht die Schuhe an und fängt an zu tanzen. Während sie im Sand tanzt, explodiert im Hintergrund eine Atombombe, erkennbar an einem Atompilz hinter einer Bergkette. Im Pub wird währenddessen weiter gesungen und getanzt. In der nächsten Szene trägt eine weiße Frau in einem formellen Kostüm die roten Schuhe. Sie geht mit einem Mann im Anzug, gespielt von Bowie, durch eine Fabrikhalle und stoppt bei einem Aboriginal, der an einer Maschine arbeitet. Der Mann weist den Arbeiter dem Vernehmen nach grundlos zurecht und läuft mit der Frau weg. Nach einem Bildschnitt sieht man den Fabrikarbeiter die Maschine auf der mittleren Fahrbahn einer viel befahrenen Straße ziehen. Die weißen Australier in ihren Autos ignorieren ihn und rauschen auf beiden Seiten an ihm vorüber.
In der folgenden Szene scheuert eine Aboriginal zunächst die Fliesen einer Terrasse. Die Frau im Kostüm und den roten Schuhen taucht auf und läuft achtlos über sie und den nassen Boden hinweg. Als Nächstes schrubbt die Aboriginal den Fußgängerüberweg der Straße und wird genauso ignoriert, alle fahren achtlos an ihr vorbei. Nur der Fabrikarbeiter schaut sie an, als er, mit seiner Maschine im Schlepptau, bei ihr ankommt.
Die nachfolgenden rund 20 Sekunden des Videos zeigen die beiden beim Konsumieren. Sie kaufen mit einer Kreditkarte Schmuck und gehen essen, dabei werden sie von den Weißen wahrgenommen und zuvorkommend behandelt. Auch als sie am Strand entlang spazieren und in einem Museum eine Schlange im traditionellen Stil ihres Volkes an die Wand zeichnen, scheint das in Ordnung zu sein. Nach dem Restaurantbesuch kommen die beiden an einem Schuhladen vorbei und sehen die roten Schuhe im Schaufenster.
Zurück im Outback, sieht man, wie die ganze Gruppe auf den ausgezogenen roten Schuhen herumtrampelt, bevor sie weiterzieht. Bald erreichen sie einen Felsen, von dem aus sie desinteressiert auf die Skyline von Sydney blicken. Der Rest des Videos besteht aus Schnitten zwischen dem in freiem Gelände, mit weißen Handschuhen Gitarre spielenden David Bowie, dem Aboriginal-Paar wie es durch das Outback läuft oder auf einer Klippe tanzt und Luftaufnahmen von Sydney und seinen Wahrzeichen. Den Abschluss des Videos bildet der Schatten einer Hand vor einem rot leuchtenden Hintergrund.
Bowie: Stellungnahme gegen Rassismus
Wie David Bowie sagt, ist das Video eine einfach zu verstehende, direkte Stellungnahme gegen Rassismus und Unterdrückung, Zitat: »very simple, very direct statements against racism and oppression«. Dabei macht er sowohl allgemeine Aussagen zu Rassismus als auch konkrete Aussagen zur Unterdrückung der Aborinigal in Australien. Die Atomexplosion zum Beispiel scheint ein konkreter Hinweis auf die Umsiedlung der letzten auf traditionelle Weise als Nomaden lebenden Aboriginal zu sein. Diese Gruppe konnte nicht mehr in ihrem Gebiet leben, weil es zu Atomwaffentests missbraucht wurde. Die allgemeinen Aussagen sehe ich in der oben bereits genannten Zeile zusammengefasst: »Put on your red shoes and dance the blues.« Menschen wie die australischen Indigenen werden dazu gezwungen, so zu leben, wie es die überlegenen Invasoren vorgeben. Sie sollen die »roten« Schuhe anziehen, um, wörtlich übersetzt »blau« zu tanzen. Egal ob das passt oder nicht. Wenn sie sich daran halten, sind sie zumindest geduldet, wenn sie Geld besitzen oder folkloristisch auftreten, sogar höflich behandelt. Aber ansonsten werden sie im besten Falle ignoriert, meist systematisch und systemisch unterdrückt, und als Menschen zweiter Klasse behandelt. Das nur aus dem Text heraus zu lesen ist gewagt, im Zusammenhang mit dem Video aber vollkommen schlüssig. Der Text selbst ist für mich eine Aufforderung, trotz der widrigen Umstände weiter zu machen, auch wenn alles gegen dich ist. Diese Sichtweise nur auf den Text lässt auch eine andere Interpretation der berühmten Zeile zu. Einfach die roten Schuhe anziehen und trotzdem weiter tanzen. Auch wenn es das letzte Mal ist, »For fear tonight is all«. Was bleibt schon anderes übrig …
Nichts, denn es bleibt uns in der Tat nur weiterzumachen und gegen Ungerechtigkeiten anzukämpfen. Die Antwort, wie Kulturen miteinander respektvoll leben können, bleibt uns Bowie schuldig. Aber einen wichtigen Schritt hat er gemacht, er hat seinen Status genutzt, um auf diese Zustände aufmerksam zu machen um zu zeigen, wie Menschen erniedrigt werden, nur weil sie einem anderen Kulturkreis zugerechnet werden.
Angenehme Nebenwirkungen für zwei hochkarätige Musiker
Eine konkrete Brücke zwischen Schwarz und Weiß errichtete David Bowie mit »Let´s Dance« für einen schwarzen Musiker. Er engagierte für die Produktion den Gitarristen und Produzenten Nile Rodgers von Chic, der bis dahin nur schwarze Bands produziert hatte. Mit dieser Zusammenarbeit ebnete er Nile Rodgers, wie er selbst sagt, den Weg in die weiße Musik. Nur wenige Monate später produzierte er beispielsweise »Original Sin« von INXS. Dabei schlug Rodgers dem Sänger Michael Hutchence vor, die Liedzeile »Dream on white Boy, dream on white Girl« in »Dream on white Boy, dream on black Girl« umzuwandeln, worauf dieser sofort einging. Es war ihm vorher gar nicht aufgefallen. Das war aber nur der Anfang von Nile Rogers Produzentenkarriere, er arbeitete später unter anderem noch mit Diana Ross, Madonna, Britney Spears, Daft Punk, Pharrell Williams, Lady Gaga und Kylie Minogue.
Eine weitere große, wenn auch leider kurze, Musikkarriere bekam durch »Let´s Dance« ebenfalls einen entscheidenden Schubser. Bowie engagierte als Leadgitarristen den noch unbekannten Stevie Ray Vaughan, der damals noch ganz am Anfang seiner Karriere stand: Vaughan sollte einer der ganz großen Gitarristen werden und wird heute mit Clapton und Hendrix in einer Reihe genannt. Leider verstarb er schon früh mit nur 35 Jahren.
Das offizielle Video: https://www.youtube.com/watch?v=B2HWuR2mq5M
Nile Rodgers Tells the Story of David Bowie’s „Let’s Dance“: https://www.youtube.com/watch?v=XaIx_FBk4-Q
Viele Grüße
Stefan Röcker
Bildquellennachweis: Daniela Röcker
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