So, Purpose soll’s jetzt also sein. Ernsthaft? Da gibt’s doch tatsächlich einen „Purpose-Readiness-Index“, las ich diese Woche beim Handelsblatt. Der „PRI“ gibt an, „wie die Konsumenten die Unternehmen wahrnehmen: Gilt ein Unternehmen als ehrlich oder scheinheilig? Wirkt die Marke sympathisch? Ist die Firma innovativ?“
Die Unternehmensberatung Globe One aus Köln hatte dazu „48 der populärsten deutschen Unternehmensmarken“ auf Basis einer Umfrage mit 3600 Konsumenten betrachtet und daraus den sogenannten „Purpose-Readiness-Index“ erhoben.
Hm, mal zurück auf Anfang. Das Buzzword Purpose (Ist es schon ein Buzzword?) geistert schon länger durch die Businesslandschaft und nicht nur einmal höre ich seit ca. anderthalb Jahren Sätze wie: „Wir müssen unseren Purpose finden.“ Situationsgebunden und abhängig von der Persönlichkeit, wird der Satz mit einem grimmigen oder mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck garniert. Meistens ist mit dieser Aussage so etwas in Richtung positiver Außenauftritt gemeint, der aber authentisch und ehrlich rüberkommen soll – das matcht also ungefähr mit der Beschreibung des PRI.
Purpose – was ist damit gemeint?
Wenn ich „ungefähr“ und „in Richtung“ schreibe, dann deshalb, weil das Wort im Wirtschaftskontext sehr viel individuellen Interpretationsspielraum zuläßt. Einmal gecosiat (www.ecosia.org = nachhaltige Google-Alternative) finde ich eine erste nicht-wirtschaftliche Definition bei freedictionary.com:
- The object toward which one strives or for which something exists; an aim or goal: Her purpose in coming here is to talk to you. The purpose of an airliner is to transport people.
- Determination; resolution: He was a man of purpose.
Eine weitere Beschreibung liefert die Zeitschrift Emotion:
„Der Purpose ist unser Lebenszweck und Ausdruck der tiefsten Sehnsucht unserer Seele. Er beantwortet uns die Sinnfrage und dient uns als überzeugende Stütze bei allen Entscheidungen.“
Ah ja. DER Lebenszweck, DIE Sinnfrage. Ist der (!) Purpose also die einfache Antwort darauf, warum eine komplexe Erscheinungsform namens „Ich“ sich temporär in einer komplexen Umgebung namens „Erde“ aufhält? Hm.
Im Wirtschaftskontext taucht der Begriff in Verbindung mit „Purpose-driven company“ auf, es gibt eine gemeinnützige Purpose-Stiftung samt Netzwerk, eine Purpose-Foundation ebenso wie eine internationale „Purpose Economy“. Alle haben eine unterschiedliche Interpretation des Begriffs. Während die Purpose-Stiftung ihn rein auf das Unternehmen selbst beschränkt, nämlich wie folgt:
„Purpose-Unternehmen sind für ihre Kunden und Mitarbeiter da. Gewinne werden größtenteils reinvestiert und dienen dem Sinn des Unternehmens. Die Verantwortung liegt immer bei den Menschen im Unternehmen. Purpose Unternehmen arbeiten nicht für den Gewinn von Investoren, sondern den Sinn des Unternehmens.“
geht die Purpose Economy darüber hinaus und formuliert einen gesellschaftlichen Nutzen daraus:
„We build and support movements to advance the fight for an open, just, and habitable world.“
Von Social Impact ist dort die Rede und die „movements“ bestehen aus einzelnen Kampagnen z.B. gegen den Klimawandel, für saubere Luft, Gleichberechtigung, Armutsbekämpfung, etc., also das komplette Programm für Philanthropen.
Ganz grundsätzlich scheint es sowohl in der ersten als auch in der zweiten Beschreibung darum zu gehen, dass Unternehmen mit dem Begriff einen übergeordneten Zweck beschreiben, den Unternehmen haben sollten. Jenseits der Gewinnmaximierung.
Drei Aspekte zum Nachdenken
Jetzt ist es sicherlich nicht so, dass ich den Begriff im internationalen Kontext ablehnen würde. Hier ist er möglicherweise schneller und einfacher zu verstehen, als das Konzept der Unternehmensverantwortung für Gesellschaft und Umwelt – Corporate Social Responsibility genannt – das mit dem „Purpose“ sehr deutliche Ähnlichkeiten hat. Und es gibt durchaus Unternehmen, die die „Sinnkopplung“ des individuellen Mitarbeitenden an den Unternehmenszweck (den sie gar nicht „Purpose“ nennen) ernsthaft annähern wollen. Soviel dazu. Aber mir gefallen drei Dinge ü-b-e-r-h-a-u-p-t nicht:
Erstens: Das Konzept der Corporate Social Responsibility (CSR) ist seit Jahrzehnten etabliert und wird wissenschaftlich beforscht. In der Umsetzung ist es zwar immer noch freiwillig, aber auf Gesetzesebene verankert und es erfährt von Zeit zu Zeit Anpassungen wie zuletzt die Anpassung 2017 auf EU-Ebene, die 2018 in deutsches Recht überführt wurde. Diese Formalisierung bedeutet auch, dass sich daraus Sanktionen entwickeln können, wenn Unternehmen CSR-Richtlinien nicht einhalten. Ich bin keine Verschwörungstheoretikerin, aber eine kritische Zeitgenossin. Unternehmen sind ja nicht blöd und merken, dass der gesellschaftliche Druck steigt, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen – sei es mit sozialem Engagement oder mit umweltfreundlichen Produkten und Prozessen. Würden sie dieses Handeln CSR nennen, wären sie irgendwann kontrollier- und sanktionierbar. Lassen sie ihr Handeln jedoch mit dem Purpose-Begriff labeln, sind sie – von Gesetzesseite – nicht angreifbar.
Zweitens: Das CSR-Konzept ist eine freiwillige Angelegenheit. Freiwilligkeit bedeutet für Unternehmen wenig Anreiz zur Umsetzung, daher wurde und wird CSR – gerade von Konzernen – oft lediglich als Feigenblatt verwendet, um sich einen verantwortlichen Anstrich zu geben. Diese Oberflächlichkeit sorgt dafür, dass Unternehmen, die umfassend nachhaltig handeln, den Begriff CSR ablehnen, eben weil er von anderen oberflächlich vereinnahmt wird. Das gleiche Phänomen erleben wir beim Begriff New Work und es wird relativ schnell auch den Begriff Purpose erreichen, ist meine Vermutung. D.h. Unternehmen, die den Begriff ernst nehmen, finden sich in einem Becken mit anderen wieder, die ihn nur als Marketinginstrument nutzen.
Drittens: Leute, echt jetzt? Mal abgesehen davon, dass Denglisch in Deutschland Zweitsprache ist, aber muss es denn unbedingt so ein unschönes Wort wie Purpose sein? Sprecht das doch bitte mal laut aus! Da verdreht sich jemandem, dessen Muttersprache nicht Englisch ist, die Zunge nach hinten. Die Kiefer schiebt sich nach vorne, die Lippen vibrieren und das Aussprechen fühlt sich fies an – pörrpesss. Und diese Plopp- und Zischlaute hören sich auch nicht so freundlich an. Und wenn ich es eilig habe, dann wird daraus ein „pööpsss“ – wollt ihr das wirklich?? Ich sach ma so, warum denn ein einziges schwammiges Wort verwenden, wenn man so etwas Wichtiges und Wertvolles wie einen übergeordneten Zweck beschreiben will? Wird das der Sache etwa gerecht?
Ich bleibe sehr skeptisch…
Bis neulich
Daniela
Lust über das Purpose-Gedöns zu diskutieren? Dann laßt uns das doch auf der #LATC2020/#NKNA20 machen – Tickets könnt ihr hier buchen: https://priomy.events/
Zum Weiterlesen:
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/purpose-readiness-index-skandale-stellen-glaubwuerdigkeit-der-konzerne-in-frage/24924110.html?nlayer=Newsticker_1985586&ticket=ST-5009440-TabWtIENgXmI6atAL1IW-ap6
https://www.globe-one.com/blog/german-brand-study/?lang=de
Bildquelle: Kultur-Komplizen
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