Also, ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich finde unsere Welt oft sehr merkwürdig – im wahrsten Sinne des Wortes. D.h. ich sitze, stehe, laufe oder liege irgendwo und beobachte, wer oder was um mich herum kreucht, fleucht, redet oder sich irgendwie anders äußert. Das Beobachtete erscheint mir dann hübsch, oder fies oder geht so, aber eben immer irgendwie „würdig zu merken“. Also packe ich es in meinen Kopf, meistens erst einmal in die Schublade „für später aufheben“ und nehme es mit nach Hause.
Oft kommt dann zuerst der Alltag so mit Zähneputzen, Spülmaschine korrekt einräumen, erschrecken über das Getute eines Müllautos beim Rückwärtsfahren oder sehr wichtigen Entscheidungen wie z.B. „Welche Eissorte nehme ich jetzt als dritte Kugel?“ dazwischen. Aber irgendwann, vielleicht unter der Dusche, beim Kaffeetrinken oder Schuhe zubinden ist das „würdig zu Merkende“ wieder da und geht solange nicht mehr weg, bis ich es nachdenkend ausgequetscht habe. Manchmal denke ich, dass dieses Ding, also dieses „würdig zu Merkende“, irgendeine masochistische Ader haben muss, weil sich doch niemand gerne und ohne Not einfach ausquetschen lassen mag. Oder vielleicht findet es ausgerechnet meine Ausquetschdenktechnik besonders toll, ich weiss es nicht.
An diesem Tag, an dem meine erste Frage für diese Blogserie auftauchte, war es auf jeden Fall Robert Habeck, der Twitter-Verweigerer, der mich mit seinem kleinen Buch „Wer wir sein könnten – Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht“ getriggert hatte. Dass Sprache Wirklichkeit schafft, so eines der Buchkapitel, dürfte niemanden überraschen, der sich auch nur rudimentär mit Feminismus beschäftigt, daher kann ich ihm nur zustimmen und im Nachdenken über Sprache ergab sich meine erste Frage:
„Warum erwarten wir Antworten?“ oder präziser:
„Warum erwarten wir, dass Antworten Lösungen sind?“
„Darauf muss die/der/das jetzt aber mal eine Antwort geben!“ – habt ihr bestimmt schon oft gehört oder auch selbst gesagt. Meistens wird so ein Ausruf mit erhobener, energischer Stimme vorgetragen und mit Gesten untermalt. Mich irritiert so ein Ausruf.
Die Wirtschaft soll Antworten zur Digitalisierung geben. Lebende Philosophen sollen beantworten, welche verstorbenen Philosophen Antworten auf Phänomene der Gegenwart geben können. Wissenschaftler sollen gefälligst präzise Antworten zum Klimawandel oder zu Feinstaubwerten geben. Lehrer eine Antwort haben auf schlechte Schulnoten. Ärzte zu Missständen in Kliniken Rede und Antwort stehen. VW zu Dieselgate. Frauen zur Quote. Neuerdings verlangt man sogar von der Kunst – wie in allen Zeiten des Umbruchs – Antworten! Und die KI soll sowieso Antwort auf alles geben. Warum ist das so? Warum werden Antworten von irgendjemandem gefordert? Was sind überhaupt Antworten?
Antworten = Lösungen?
Wie immer, wenn ich nicht weiter weiß, ziehe ich mich zurück und krame in meinem eigenen Hinterstübchen. Wenn ich Glück habe, finde ich dort in irgendeiner dunklen Ecke patinabehaftete Fragmente von irgendetwas, das noch brauchbar sein könnte. Beim Kramen ist mir aufgefallen, dass das Wort „Antwort“ in den meisten Kontexten als Synonym für „Lösung“ verwendet wird, was mich noch mehr irritiert hat. Denn, wenn ich Antworten auf meine Fragen erhalte, sind das überwiegend keine Lösungen und meistens werfen die Antworten eher noch mehr Fragen auf.
Also habe ich weitergekramt und zwar im Grimmschen Wörterbuch und die Wortherkunft von „antworten“ recherchiert. Ist so ne Krankheit von mir. Ich denke absurderweise, dass man, wenn man in der Vergangenheit, nach einer Ursache oder an der Wurzel von etwas sucht, man etwas findet, was in der Gegenwart hilfreich sein könnte. Nun, egal. Wer die Grimm-Brüder übrigens nur als Märchenonkel kennt, dem sei gesagt, dass die beiden um 1857 den 1. Band des „Deutschen Wörterbuchs“ publizierten – ein Mammutprojekt, bei dem sie mit vielen fleißigen Helfer:innen nicht nur Wörter sammelten, sondern auch deren Entwicklungsgeschichte recherchierten und dokumentierten. Sie kamen in ihrer Lebenszeit „nur“ bis zum Buchstaben F, aber das Projekt wurde weitergeführt. Heute ist das Grimmsche Wörterbuch als Online-Version verfügbar (z.B. hier: http://woerterbuchnetz.de).
Antwort = Gegenrede!
Zurück zur „Antwort“: Im Althochdeutschen heißt es „antwurti“ (8. Jh.) und wird im Mittelhochdeutschen zu „antwürte“. Grammatikalisch ist „antwurt“ eine Kollektivbildung aus „Wort“ und dem Präfix „ant-“, bzw. „ent-“, d.h. eine Silbe, die hier eine „Hinwendung zum Gegenüber“ ausdrücken soll. Ursprünglich ist Antwort also als „Gegenrede“ oder „Gegenwort“ zu verstehen. Ursprünglich war es auch nicht „die“ Antwort, sondern „das“ Antwort. Insbesondere Luther verwendete häufig „das Antwort“, obwohl der allgemeine Sprachgebrauch längst den femininen Artikel bevorzugte. Von Hause aus ist „Antwort“ also ein Neutrum und historisch eng mit der Rechtssprache verbunden: Das mittelhochdeutsche „antwürten“ bedeutet „sich/jemanden vor Gericht gegen eine Klage verteidigen“.
Ich muss sagen, dass mich die Wortherkunft ein bisschen froh machte. Denn wenn „antworten“ ursächlich „nur“ eine Reaktion war, die ein neutrales Wesen hatte, dann war sie offen interpretierbar und enthielt keine Lösung. Wenn dies der Fall ist, dann hat die Zeit und ein bestimmter Kontext erst zu dieser Verwendung geführt. Und wie wir wissen, ist Sprache immer im Wandel und kann daher auch immer verändert werden. Doch warum hat sich diese synonyme Verwendung eigentlich eingeschlichen? Ich kramte also wieder im Hinterstübchen und schickte diesmal „Antwort und Gegenrede“ durch die Synapsen. Und auf einmal kam mir etwas entgegen, das mir schon öfter begegnet ist, nämlich der Satz: „Meine Eltern sind schuld!“ Dieser Satz sagt nicht, dass meine Eltern böse Menschen sind, sondern er steht stellvertretend dafür, dass ich mich selbst auffordere, mich in meine eigene Vergangenheit zu beamen und nachzusehen, was dort passiert ist – zumindest so wie ich mich daran erinnere. Das heißt nicht, dass meine Erinnerungen immer richtig sind.
Was meine Eltern und die Schule mit Antworten zu tun haben
In diesem Fall allerdings scheinen mir einige Erfahrungen einen Link zu liefern, um dem Ding mit dem Antwort-Lösung-Synonym wenigstens ein wenig auf die Schliche zu kommen. Natürlich ist dieser Link keine allgemeine Wahrheit, sondern nur in meinem Kopf entstanden. In meiner Vergangenheit war es so, dass meine Eltern mir von Kindheit an Antworten gegeben haben, die ich als Lösung für meine Fragen und Probleme angenommen habe – zumindest bis zu einem bestimmten Alter. Später kamen Lehrer:innen hinzu, die Fragen stellten, auf die ich Antworten geben musste und die diese als richtig oder falsch bewerteten. Von Neutralität war nie etwas zu spüren.
Auf Fragebögen, Hausarbeiten, etc. wurden synonym die Begriffe Antwort und Lösung verwendet. In der Mathematik hieß meine Antwort Lösung oder Ergebnis. In manchen Spielen gab es das Begriffspaar Frage/Antwort. Die Antwort hatte auch hier immer die Werte „richtig“ oder „falsch“ und führte dazu, dass man verlor oder gewann. In den allermeisten Fällen gab es nur eine einzige „richtige“ Antwort, die zum Ziel führte. Alternative Antworten waren weder in der Schule noch im Spiel gefragt. Immer waren es andere, die Regeln festgelegten und deren Einhaltung positiv belohnten, ob mit guten Schulnoten oder mit dem Gewinnen eines Spiels. Meine Eltern haben mir mitgegeben, dass gewinnen, gute Schulnoten und Belohnungen erstrebenswert sind. Eure Eltern auch? Mir scheint, dass sich hier über eine lange Zeit hinweg ein Muster bilden konnte, welches eine Auswirkung auf den Sprachgebrauch hat.
Allerdings haben meine Eltern mir auch mitgegeben, dass man Fragen stellen muss und gewisse Dinge nicht hinnehmen soll. Wenn ich also höre, lese, sehe, dass Menschen von Bereichen wie der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Politik Antworten erwarten, reproduzieren sie m.E. dieses Muster und laden es mit individuellen Bedeutungen auf. Das Wort Antwort wird mit Begriffen wie Lösung, Ergebnis und sogar Wahrheit aufgeladen, je nachdem wie sie das Wort Antwort in der Vergangenheit erfahren haben. In einer Antwort liegt somit der Wunsch nach etwas Gutem, Richtigen und Wahrhaftigem, vielleicht sogar nach (Er-)lösung und damit Entlastung.
Antwort als Einladung zum Dialog
Ich kann diesen Wunsch verstehen, denn etwas weniger Last zu tragen, tut gut. Allerdings halte ihn in unserer Gegenwart für ziemlich naiv, weil niemand Lösungen, im Sinne von richtigen, wahrhaftigen und einzigen Lösungen für etwas hat. Selbst wenn ich nur jemanden nach dem Weg frage, ist seine Antwort/Lösung nur eine von X möglichen. Wer mir nicht glaubt, nimmt einen beliebigen Routenplaner zur Hand. Wenn ich dort nach einem Weg zum Ziel X frage, bekomme ich auch alternative Routen präsentiert. D.h. die erste Antwort ist „nur“ ein Vorschlag, den ich präzisieren kann. Selbst wenn ich zuerst dem vorgeschlagenen Weg folge und an einer Stelle verlasse, bekomme ich weitere Routen vorgeschlagen. Wenn ich das Medium vom Fahren zum Laufen ändere, ändert sich wiederum der Routenvorschlag. Und wenn ich auf den Routenplaner pfeife, erlaubt mir Mutter Erde auch, einfach querfeldein auf ihr herumzustiefeln. Wenn ich es mir recht überlege, hätte ich mir für meine Schulzeit keine Lehrer, sondern Routenplaner gewünscht.
Nochmal zurück zur Antwort: Douglas Adams hat mit 42, die einzige Antwort und damit die Lösung auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest bereits gegeben. Eine einzige Antwort kann uns also wunderbar zum Lachen bringen, aber das war’s dann auch schon. Deshalb würde mir wünschen, dass wir von niemandem mehr Antworten erwarten, und sie als Lösung interpretieren, sondern Antworten als etwas Neutrales begreifen, als eine Perspektive von vielen. Im schönsten Fall, d.h. wenn der oder die Antwortgebende das auch so sieht, kann die Antwort eine Einladung zum Dialog sein.
Was mir gerade noch durch die Synapsen weht… Antwort und Lösung haben beide in der Jetztzeit einen femininen bestimmten Artikel, sind also weiblich…. laß ich mal zum Weiterdenken offen. 😉
Bis neulich,
Daniela
„Frau Röcker hat da mal ne Frage…“ wird eine Komplizen-Blogreihe, die regelmäßig unregelmäßig erscheint. Es geht um alles, was mir so auffällt, um das Leben, das Universum und den ganzen Rest.
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