Unser ganzes Leben hindurch sind wir in Gruppen involviert: Kindergarten, Schule, Freunde, Vereine, Kommilitonen, Teams, Arbeits- und Projektgruppen, u.v.m.. In all diesen Gruppen bauen wir gezielt und unterschwellig verschiedenste Beziehungen zueinander auf. Wir übernehmen bewusst und unbewusst Rollen, Positionen oder Ämter. In diesen Konstrukten leben, spielen und arbeiten Menschen oft mit anderen, ohne die Dynamiken und Veränderungen, die im Zusammenwirken entstehen, bewusst wahrzunehmen. Die Wechselbeziehungen laufen wie von selbst unhinterfragt ab, bis sich mehr und mehr „Sand im Getriebe“ der Interaktion ansammelt und es letztlich anfängt zu knirschen und zu haken. Dann ist auf einmal nichts mehr normal und alle wundern sich, wie es soweit kommen konnte. Dass solche Störungen häufig eine längere Geschichte haben, wird den Beteiligten erst bewusst, wenn die Gruppe sich intensiv damit auseinandersetzt, wie sich die Störung entwickelt hat. Das kostet eine Menge Zeit, weil die Auslöser im Nachhinein oft nur schwierig zu rekonstruieren sind. Daher bekämpfen die Menschen meist nur die Symptome und bemühen sich nicht, die Ursachen herauszuarbeiten. Dadurch bleibt ein Rest „Sand“ zurück, der die Gruppe eher früher als später wieder in eine ähnliche Situation bringt.
Eisbergmodell
Um besser zu verstehen, welche Vorgänge hierbei eine Rolle spielen, finde ich es hilfreich, sich die Gruppe und ihre Dynamiken als Eisberg vorzustellen (vgl. König/Schattenhofer 2006, S. 26). In der Spitze über dem Wasser befindet sich die Sachebene. Sie ist für die Beteiligten relativ klar wahrnehmbar und die meisten Menschen haben keine Probleme, darüber zu sprechen.
Darunter liegen mehrere Ebenen, bei denen sich die Menschen deutlich schwerer tun sie wahrzunehmen und die mühsamer in Worte zu fassen sind. Daher werden sie seltener in der Gruppe verhandelt – obwohl diese tieferen Ebenen maßgeblich das Verhalten in der obersten beeinflussen. Diese tieferlegenden Stufen sind die soziodynamische und die psychodynamische Ebene, sowie zu unterst der Kernkonflikt der Gruppe.
Sachebene
Auf dieser Ebene, die über dem Wasserspiegel liegt, geht es um die Aufgabe und das Ziel der Gruppe. Es geht um die inhaltliche Gestaltung, Funktionalität und Leistung. Es wird darüber verhandelt, was getan werden muss, um das Ziel zu erreichen. Auf welchem Weg und mit welchen Mitteln schaffen wir es am besten, unsere Aufgabe zu erfüllen. Wenn auf dieser Ebene der Eindruck entsteht, dass Themen behandelt werden, die für die Zielerreichung unnütz sind, ist dies ein Indiz dafür, dass in den tieferen Ebenen etwas nicht in Ordnung zu sein scheint.
Soziodynamische Ebene
Die soziodynamischen Ebene liegt an und unter der Wasseroberfläche. Sie ist zwar teilweise sichtbar, der überwiegende Teil aber befindet sich wesentlich tiefer und ist unsichtbar. Die Einschätzung auf diesem Level erfolgt weniger über das, WAS kommuniziert wird, als vielmehr WIE die Menschen miteinander umgehen. Wie zeigt sich das Beziehungsgeflecht? Wie wird untereinander gesprochen? Hören sich die Beteiligten gegenseitig aktiv zu? Wie reagieren die unterschiedlichen Personen aufeinander? Wie interagieren sie miteinander? Werden die Beiträge gemäß ihrem Inhalt gewertet oder hängt es davon ab, wer etwas sagt?
Diese Verhaltensweisen werden zwar gesehen und sind in ihrer Auswirkung spürbar, kommen aber in den meisten Gruppen selten offen zur Sprache, weil sie unbequem sind und – oberflächlich betrachtet – die Gruppe und ihre Arbeit stören. Wenn überhaupt, dann wird darüber informell gesprochen und untereinander in Kleingruppen über „die anderen“ „getuschelt“ und „gelästert“. Es existiert in vielen Gruppen praktisch ein Tabu, offen über die Verhaltensweisen einzelner Personen und ihrer Auswirkungen auf die Gruppe zu sprechen, weil Sach- und Beziehungsebene strikt getrennt werden. Der Wechsel auf die Metaebene, um über dysfunktionale Verhaltensweisen zu reden, findet nicht statt und muss erst gelernt werden.
Psychodynamische Ebene
Unter der soziodynamischen befindet sich die psychodynamische Ebene. Darin liegen die individuellen, unbewussten Motive der Gruppenmitglieder, die Wünsche, Bedürfnisse, Ängste, Vorurteile und Erfahrungen, welche sie in die Gruppe mitbringen und die in unterschiedlichem Gruppensituationen zu Tage treten. Neue Situationen werden mit Erfahrungen aus dem bisherigen Leben verglichen und Menschen reagieren, wie sie es bereits in einer ähnlichen Situation schon früher schon gemacht haben und gewohnt sind – ohne darüber nachzudenken, ob diese Reaktion in diesem Augenblick tatsächlich angemessen ist oder nicht. Es geht auf dieser Ebene nicht mehr um das WIE in der Gruppe gehandelt wird, sondern um das WARUM.
Ohne persönliche Hintergründe und Motive einer Person zu kennen, bewerten Gruppenmitglieder z.B. ein für sie befremdendes, unpassendes Verhalten aus ihrer eigenen Perspektive negativ und lehnen es ab. Mit der Kenntnis der Hintergründe und der Perspektive der Betroffenen sähe das oft anders aus und viele Missverständnisse könnten sich auflösen. Solche Irritationen sind aber nicht nur negativ zu sehen, ganz im Gegenteil, aus solchen Interventionen und den Gesprächen darüber entstehen sehr oft auch neue Ideen und führen zu Weiterentwicklungen in der Gruppe und den einzelnen Individuen.
Kernkonflikt
Auf der tiefsten Ebene des Eisbergs liegt der unbewusste Kernkonflikt der Gruppe. Dieser Kernkonflikt wird häufig als wiederkehrendes Muster beschrieben, das bereits in der Gründung der Gruppe angelegt ist. Der Kernkonflikt ist die individuelle Begründung jeder Gruppe, WIE sie mit den drei darüber liegenden Ebenen umgeht.
König und Schattenhoder formulieren es so: „Im gruppendynamischen Verständnis geht es darum, einen solchen Kernkonflikt als konstitutiven Teil der Gruppe zu begreifen und die in ihm angelegte Spannung so zu gestalten und zu nutzen, dass sie die Gruppe nicht blockiert, sondern in Bewegung bringt. Die Entdeckung dieses Konfliktes kann zwar für den Bestand einer Gruppe, zumindest anfänglich und vorübergehend, identitäts- und existenzbedrohend sein, doch ist er erst einmal kommunizierbar, kann er auch zu einem zentralen Mittel der Kohäsion werden.“
Fazit
Um auf der Sachebene reibungsarm zu funktionieren, ist es zunächst einmal notwendig, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen es den Mitgliedern einer Gruppe möglich ist, sich in einem sicheren Raum auf die Metaebene zu begeben, ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen. In diesem sicheren Raum, der regelmäßig neu geschaffen werden muss, kann dann alles verhandelt werden, was sowohl das „Wie“ als auch das „Warum“ der Gruppe betrifft. Mit dieser Besprechbarkeit kann somit eine bessere Basis für die Sachebene erreicht werden. Im besten Fall macht sich dies positiv sowohl auf sozialer als auch auf ökonomischer Ebene bemerkbar.
Beste Grüße
Stefan
Literatur:
König, O./Schattenhofer, K. (2006) Einführung in die Gruppendynamik
Beitragsbilder:
Eisberg: Grafik Pixabay (CC0 Creative Commons) bearbeitet und ergänzt um Text (vgl. König/Schattenhofer (2006), S. 27)
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