Irgendwie hat uns die Zahl 2020 angetriggert, einen Rückblick auf uns zu werfen und zwar einen 5-Jahres-Rückblick: 2015 war das erste Arbeitsjahr der Kultur-Komplizen. Das letzte Jahr, 2019, war für uns ebenso arbeits- wie erkenntnisreich. Wir sahen an vielen Stellen, welch merkwürdige Blüten die Causa „New Work“ treibt. Wir nahmen hocherfreut zur Kenntnis, dass das Thema Klimawandel immer mehr Aufmerksamkeit erhielt. Wir schlossen für uns das Projekt priomy ab. Und nicht zuletzt setzten wir uns gemeinsam mit der LeanBase intensiv damit auseinander, wie Nachhaltigkeit und Lean zusammengedacht werden kann. Aus alledem entstanden und entstehen neue Ideen, Angebote und Komplizenschaften, in denen wir Menschen darin unterstützen, Arbeit neu, anders und besser zu gestalten. Und – soviel sei vorweggenommen – unser Ziel ist es weiterhin, Unternehmenskulturen sich dahin entwickeln zu lassen, dass Organisationen sozial, ökologisch und ökonomisch erfolgreich sein können.
5 Jahre Kultur-Komplizen
Doch warum ein 5-Jahres-Rückblick? Jahresrückblicke sind ja fast der Normalfall, aber um strategisch sinnvoll zu handeln, hilft manchmal ein längerer Zeithorizont. Und vielleicht interessiert es den einen oder die andere von Euch, woher wir kommen und welche Leitplanken unser Weg hat. Dazu gehe ich kurz 6 Jahre zurück. Daniela und ich machten einen Kurzurlaub in der Oberpfalz. Daniela arbeitete zu diesem Zeitpunkt im Projektmanagement einer NGO, die sich mit Nachhaltigkeit und CSR im Mittelstand beschäftigte und ich verantwortete das Marketing in einer Open-Source-Software-Firma. Glücklich waren wir mit den starren, eingefahrenen Organisationsstrukturen in diesen Organisationen ganz und gar nicht.
Ungeachtet der Tatsache, dass wir voll und ganz hinter beiden Themen – Nachhaltigkeit und Open Source Software – standen und stehen, stimmte etwas nicht. Wir wussten, dass wir mit unserem Unmut nicht alleine waren, denn in unserem Umfeld fanden sich immer mehr Menschen, die darüber klagten, dass ihre Arbeit sie krank machte. Dass ineffiziente und überflüssige Organisationsstrukturen zu hohem Druck und Stress führten, dem sie nicht mehr standhalten konnten. Sie im schlimmsten Fall, an einem Punkt anlangten, an dem sie von Ärzten als arbeitsunfähig eingestuft wurden. Sie waren komplett aus der Balance – ein Phänomen, das man in zahlreichen Burnout-Studien nachlesen kann. Wir waren im Gegensatz zu vielen anderen in der Lage, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen und kamen mit einigen Blessuren davon.
Wir hatten beide in unseren beruflichen Laufbahnen schon wesentlich Schlimmeres erlebt und eine Resilienz aufgebaut. Trotzdem saßen wir im Café Picasso in Regensburg und überlegten uns, was wir tun könnten, um künftig freier und unabhängiger agieren zu können. Wir kamen zu der Erkenntnis, dass unser beider Sinn für Gerechtigkeit und Menschenwürde der Antrieb dafür sind, andere Menschen zu unterstützen, denen es in ihren Organisationen ähnlich geht – die Geburtsstunde der Kultur-Komplizen.
„Culture eats strategy for breakfast“
Unseren Ansatzpunkt sahen wir beim Thema Unternehmenskultur, die grundlegend für den Erfolg oder Nichterfolg eines Unternehmens in unserem bestehenden Wirtschaftssystem ist. Die Kultur hat, im Gegensatz zur Natur, das Ziel etwas zu schaffen, das über das reine Überleben hinausgeht – Kultur kreiert Mehrwert in vielfältiger und komplexer Form. Auf Basis unserer betriebswirtschaftlichen Vorkenntnisse und -expertise war uns von Anfang an klar, dass nur, wenn Organisationen und Unternehmen innerhalb eines bestehenden Wirtschaftssystems wirtschaftlich lebensfähig sind, sie den Lebensunterhalt der beteiligten Menschen sichern können. Allerdings waren wir uns schnell einig, dass unser Wirtschaftssystem an vielen Stellen destruktiv agiert, weshalb es uns wichtig ist, dass Unternehmen sich ihrer Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt stellen müssen. Womit die drei Bereiche, die wir mit unserem Angebot besetzen wollten, bereits definiert waren: Ökonomie, Soziales und Ökologie mussten wir zusammen denken, die Schnittstellen sichtbar machen, um Silos aufzubrechen und die Bereiche integriert als Ganzes mit ihren komplexen Wechselwirkungen betrachten.
Keine leichte Aufgabe und uns war klar, dass dies nicht von heute auf morgen umzusetzen ist und dass wir nicht nur weitere Komplizen brauchen würden, sondern auch eine andere Art des Gestaltens, um Transformationen erfolgreich umzusetzen. Alles, was wir bis dato zum Thema Change selbst erfahren hatten und/oder an Modellen und Instrumenten kannten, überzeugte uns nicht. Da wir beide sehr kunstaffin sind, suchten wir relativ schnell hier nach möglichen Ideen. Den entscheidenden Ansatz fanden wir bei der Künstlerin Shelley Sacks und ihrer Forschung und Arbeit zur sozialen Plastik von Joseph Beuys, nach der jeder Mensch grundlegend die Fähigkeit besitzt, zu gestalten. Die Soziale-Plastik-Arbeit unterstützt Menschen dabei, diese gestalterischen Fähigkeiten wiederzuentdecken, weiterzuentwickeln und in Teams und Organisationen zu nutzen. Mit unserer Ausbildung als Facilitators bei Shelley Sacks, hatten wir den ersten Baustein, den wir erfolgreich in unsere ersten prototypischen Projekte einbauten.
New Work? New Work!
Die Sozialutopie „New Work“ von Frithjof Bergmann schien uns ein weiterer guter Ausgangspunkt, um sowohl mit als auch über die gestalterischen Aspekte hinaus mit Menschen in Organisationen zu arbeiten, um die Themen Selbstorganisation, Eigenverantwortung und Partizipation zu bearbeiten. Mit weiteren Komplizen und als Mitbegründer des Start-Ups priomy und als Protagonisten der „New Work-Filterblase“, führte uns dieser Weg auf einen in vielerlei Hinsicht lehrreichen Pfad.
Wir, als die beiden Praktiker, die beide von der Schichtarbeit am Band über Ausbildungen in kaufmännischen Berufen, bis hin zu leitenden Führungspositionen gewirkt hatten, lernten – neben der operativen Arbeit für unser Start-up – intensiv aus der Systemtheorie wie auch aus der Arbeits- und Organisationstheorie hinzu, das wir bisher weder aus unseren beruflichen Weiterbildungen noch aus dem berufsbegleitenden Studium kannten.
Wir mussten im Laufe der Zeit aber auch erkennen, dass hinter vielem, was als New Work verkauft wird, wenig Substanz steckt und immer seltsamere Blüten trieb. Von der New-Work-Scheinwelt der Verbällebadisierung über diejenigen, die New Work geschickt als neue Methode nutzten, ihre Mitarbeitenden auszubeuten bis hin zum Elfenbeinturm-New-Worker, der ganz genau weiß, was gut für die Menschen ist. Und nicht zuletzt das Ponyhof-New-Work, bei dem sich die Menschen nur noch mit sich selbst und ihrem eigenen Wohlergehen beschäftigen. Unser Ziel mit dem Start-Up war es, eine Plattform aufzubauen, die „selbstbestimmte Arbeit“, sichtbar, attraktiv und wirkungsvoll macht. Doch manchmal passen Wünsche und Ziele nicht zusammen, daher reichte der für unser Verständnis enge Fokus auf das Thema selbstbestimmte Arbeit nicht aus. Unser eher bereichsübergreifendes und ganzheitliches Denken und Handeln kam insgesamt zu kurz. Daher beendeten Daniela und ich formell Ende September 2019 unser Engagement bei priomy bzw. richtig formuliert müsste es heißen, dass wir aus der GbR als Gesellschafter und Geschäftsführer ausschieden. Die ursprünglich von priomy initiierte NKNA20, die am 19. und 20. März 2020 in Mannheim stattfindet, führen wir nichtsdestotrotz gerne als Kultur-Komplizen gemeinsam mit den Unternehmensdemokraten durch. Einerseits weil für uns die transsektorale (Un)Konferenz „Neue Konzepte für Neue Arbeit“ eine Herzensangelegenheit ist und weil wir natürlich zu unserem Wort stehen, das wir vor anderthalb Jahren gegenüber dem Veranstalter der LATC gegeben haben, unter dessen Dach die NKNA20 stattfindet.
Solide Basis auf den Säulen Soziales, Ökologie und Ökonomie
Der Ausstieg aus dem Start-Up bedeutete, dass wir uns wieder voll unserer Arbeit mit den Kultur-Komplizen widmeten. Mit den Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren sammelten und den neuen Beziehungen, die wir knüpften, können wir künftig auf einer noch breiteren und solideren Basis das weiterführen, womit wir ursprünglich begonnen hatten – ohne Kompromisse und mit weiteren Komplizenschaften, die unsere Ziele mit ähnlich ganzheitlichem Denken unterstützen.
Aufbauend auf den Säulen Soziales, Ökologie und Ökonomie, unterstützen wir Menschen und Organisationen dabei, Unternehmenskulturen entstehen zu lassen, die ein gesundes Arbeiten ermöglichen, umweltverträglich sind und wirtschaftlich solide agieren.
Einen ergänzenden Baustein fanden wir in der Lean-Philosophie mit den Prinzipien der Vermeidung von Verschwendung und der kontinuierlichen Verbesserung, aber insbesondere auch im Lean Management und seiner Idee, dass sich Führungskräfte als Mentoren sehen. Den Fokus legen wir daher auf Beziehungs- und Führungsarbeit und nachhaltige Entwicklung. Kernthemen sind dabei u.a.: Lean Management/Lean Leadership, Wertearbeit, Unternehmenskultur, Beziehungen und Komplizenschaften, Circular Economy, Sustainable Development Goals (SDGs), Partizipation und das Zusammenspiel von Lean und Nachhaltigkeit. Wenn Du uns und unsere Arbeit dazu kennenlernen möchtest, kannst Du das in unseren Tages-Workshops mit unterschiedlichen Fokusthemen machen, die wir über LeanEvents anbieten.
Für eine enkeltaugliche Zukunft mit den Entrepreneurs for Future und 7000seeds
Darüber hinaus widmen wir uns aktiver denn je dem Thema Klimawandel, indem wir uns seit vergangenem Jahr im Kernteam der Entrepreneurs For Future Stuttgart engagieren. Mit den E4F kooperieren wir mit verschiedenen lokalen Initiativen und unterstützen u.a. die Wirtschaftsförderung der Region Stuttgart mit Impulsen. Ergänzend treiben wir unser eigenes partizipatives und nachhaltiges Kunstprojekt „7000seeds“ voran. Mit diesem Projekt verbinden wir die Themen Nachhaltigkeit und neue Arbeitskultur in besonderem Maße. Aktuell stehen wir mit einigen potentiellen Mitstreiter*innen in Kontakt, um das Projekt weiter auszubauen. Einen ersten öffentlichen Auftritt, bei dem wir auch das Thema Lean & Nachhaltigkeit adressieren, hat 7000seeds mit einer Aktionsfläche auf der LeanAroundTheClock, der #LATC2020.
Unter anderem mit unserer Mitgliedschaft im Impact Hub Stuttgart bekennen wir uns auch zur Region Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg. Wir wollen die anstehenden strukturellen Veränderungen, die dem Automobilstandort schlechthin in Deutschland in den nächsten Jahren bevorstehen, aktiv begleiten und mitgestalten. Hier wird es in naher Zukunft Herausforderungen geben, die unserer Meinung nach nur partizipativ und gemeinsam gelöst werden können. Ergänzend vernetzen wir uns mit Menschen und Organisationen anderer Regionen und Länder, die ähnlich wie wir wirken wollen, um gemeinsam zu lernen und zu wachsen.
Auf eine gute Komplizenschaft!
Stefan
Bildquellen: Kultur-Komplizen