Kann Kunst kreativ, flexibel und innovativ machen? Verstärkt fordern Unternehmen diese Fähigkeiten von ihren Führungskräften und Mitarbeitenden. Doch wie wird man eigentlich kreativ und innovativ? Kann man das lernen? Manche Ratgeber suggerieren, dass man nur gewisse Techniken anwenden müsse, um kreativ zu werden.
Kreativität als Bewegungsmuster im Gehirn
Doch Kreativität ist keine kognitiv erlernbare Fähigkeit, die man nach bestimmten Schemata abrufen kann. Um Kreativität und Innovation entstehen zu lassen, ist es notwendig, sich auf Bewegung zu konzentrieren – sowohl körperlich als auch geistig. Bewegung wird jedoch nur sichtbar, wenn wir bewusst wahrnehmen und bewusst reflektieren, d.h. wir vertiefen unsere Beobachtung, indem wir langsamer werden. Das ist leichter gesagt, als getan, denn wir folgen überwiegend und rasant unseren eingeübten und erlernten Strukturen – auch und gerade im Arbeitsprozess. Und je öfter wir diesen Strukturen folgen, desto mehr verfestigen sie sich im Gehirn.
Sie kennen das bereits aus eigener Erfahrung: Je öfter man eine Handlung ausübt, desto leichter fällt sie und am Ende wird sie gar unbewusst ausgeführt. Was beim Spielen eines Klavierstücks sehr hilfreich ist – das Wiederholen einer Handlungsfolge – , kann in anderen Bereichen mitunter erheblichen Schaden anrichten. Nämlich dort, wo etwas wiederholt wird, was uns nicht gut tut oder das unerwünschte Ergebnisse hervorbringt.
Veränderung der Umgebungsparameter
Wenn wir im Arbeitsprozess Methoden und Routinen anwenden, die in der Vergangenheit das erwünschte Ergebnis gebracht haben, kann es sinnvoll sein, diese zu wiederholen. Es kann auch sinnvoll sein, sie ein wenig anzupassen, um ähnliche Ergebnisse zu bekommen. Ein solches Verhalten erspart uns in einem Projekt üblicherweise Energie in Form von Kosten und Ressourcen.
Solange sich die Umgebungsparameter nur im Rahmen des Projektprozesses verändern, erzielen wir vermutlich eine Weile lang ähnlich gute Ergebnisse. An irgendeinem Punkt, an dem sich die Umgebungsparameter nicht mehr in unseren gesteckten Rahmen passen, kippt die Situation jedoch und in unserer Wahrnehmung verändert sich jetzt plötzlich alles sehr schnell, ist nicht mehr planbar und unsere bis dato angewendeten Methoden werden unbrauchbar. Tatsächlich hat sich der Umschwung aber schon lange in den Umgebungsparametern gezeigt, die wir aber entweder ignoriert oder aufgrund unser eingeübten Denkmuster beurteilt haben, die sich nicht mit der Realität gedeckt haben.
Das System als Ganzes sehen
An diesem Punkt haben wir die Möglichkeit, in die Realität einzutauchen und kreativ zu werden und etwas wirklich Neues zu schöpfen. Es bedarf dazu zunächst des Bewusstseins, dass wir uns bis dahin innerhalb sehr fester Strukturen bewegt haben. Dieses Bewusstsein erreichen wir, indem wir einen Moment der inneren Konzentration und Ruhe finden und versuchen, das System, in dem wir agieren und in dem wir selbst eine Rolle spielen, als Ganzes zu sehen. Kreativität fängt im Moment des Innehaltens und des tiefen Beobachtens an – sowohl im Dialog mit sich selbst als auch im Dialog mit anderen. Diesen Moment können wir z.B. mit einer Frage herbeiführen, denn hinterfragen können wir prinzipiell alles.
Die Autobahn der Routine verlassen
In diesen Moment hineinzugehen, ist am Anfang extrem unangenehm, denn unser Denken muss dazu auf der bequemen Autobahn, auf der es bisher unterwegs war, anhalten. Wer jemals versucht hat, in der Realität auf einer Autobahn anzuhalten, weiß, wie sich unser Gehirn in einem solchen Moment fühlen muss.
Ist dieser Moment da, wird unser Gehirn mit einem Mal enorm geschäftig. Jetzt ist es in der Lage, die Zeit zu dehnen, indem es sich sorgsam in den Bauplan der Autobahn vertieft und ganz genau die Leitplanken beobachtet, während auf der Autobahn weiterhin der Verkehr der eingefahrenen Gedanken und Annahmen rauscht.
Hat es seine Beobachtungen abgeschlossen und ist zu dem Schluss gekommen, dass diese Autobahn nicht zum erwünschten Ergebnis führt, verlässt es wie der Blitz die Autobahn und wechselt auf einen holprigen Feldweg, der sich mit jedem Schritt weiter verästelt und mit anderen Feldwegen vernetzt.
Hirnforscher sprechen hier von „Neuroplastizität“, die unser Gehirn beweglich macht und die uns ein Lernen bis ins hohe Alter ermöglicht.
Unser Gehirn ist in der Lage, bis zu unserem Tod neue Nervenzellen entstehen zu lassen. Dadurch „wächst“ das Gehirn sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne immer, wenn es Reize empfängt und diese weitergibt. Fehlen diese Reize aufgrund mangelnder geistiger und körperlicher Aktivität, dann werden Zellen starrer und weniger plastisch. Mit dieser fehlenden Plastizität fehlt uns auch die Fähigkeit kreativ zu sein.
Kunst fördert unsere ursprüngliche schöpferische Fähigkeit
Für uns Menschen ist Kunst unsere kreativste Form und Ausdrucksweise. Als schöpferische Tätigkeit ist sie eine unserer ursprünglichsten Fertigkeiten, die wir nicht kognitiv erlernen müssen.
Kunst als Fertigkeit eines kulturellen Wesens – des modernen Menschen – weist nach aktuellen Forschungen eine derart hohe Komplexität auf, dass sie die Neuroplastizität in höchstem Maße stimuliert. Schon bei der bloßen Betrachtung von Kunst werden mehrere Hirnareale gleichzeitig anregt, was u.a. daran liegt, dass die Bilder, die unser Gehirn dann „sieht“, mehrere Deutungen und Interpretationen zulassen und somit für mehr Aktivität sorgen.
Liegt es da nicht nahe, künstlerisch schöpfendes Denken und Handeln in unternehmerischen Strukturen einzusetzen, um aktuellen wie künftigen Herausforderungen kreativ und intelligent zu begegnen? Um damit starre Strukturen aufzubrechen, konstruktive Fehlerkulturen zu implementieren und die Autonomie und Selbstverantwortung der Mitarbeitenden zu fördern?
Bringen wir also die Kunst ins Unternehmen und vermitteln sie als schöpferischen Prozess in die Arbeitsprozesse, indem wir die Menschen dort – Führungskräfte wie Mitarbeitende – künstlerisch denken und handeln lassen. Dann dürfen wir uns auf gesunde und agile Menschen im Arbeitsprozess freuen, die gemeinsam die kreativsten und zukunftsfähigsten Möglichkeiten ersinnen.
„Man kann ein Problem nicht mit der gleichen Denkweise lösen, mit der es erschaffen wurde.“
(Albert Einstein)