In meinem ersten Beitrag zur Ambidextrie „Von Old Work zu New Work*: Die Brücke heißt Ambidextrie oder hybride Organisation“ als Teil der #FutureBusiness Blogparade von Stephan Grabmeier ging es zunächst um den Begriff und das damit verbundene Modell der ambidexteren Organisation. In diesem zweiten Teil schauen wir uns an, wie die Transformation hin zu einer nachhaltigen, klimafreundlichen und zirkulären Wirtschaft (Circular Economy, Cradle-to-Cradle) mit Hilfe der Idee der Ambidextrie oder hybriden Organisation gelingen kann.
Strategie der kleinen Schritte
Im letzten Beitrag hatte ich in diesem Zusammenhang erwähnt, dass sowohl etablierte Unternehmen sich mittlerweile stärker mit ihrer Lieferkette beschäftigen als auch, dass jüngere „New-Work“-Unternehmen nach Kooperationen mit Kunden suchen, die ihrer Arbeits- und Organisationsweise entsprechen.
In beiden Sektoren geht dies nicht von heute auf morgen, unter anderem aus folgenden Gründen:
- Etablierte Unternehmen haben mitunter langjährige Verträge mit Lieferanten mit rabattierten Einkaufspreisen, aus denen sich die Kalkulation der Verkaufspreise ergibt. Ein Lieferantenwechsel hat daher unmittelbare Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen.
- Jüngere Unternehmen finden nicht in ausreichendem Maße z.B. selbstorganisiert arbeitende Kunden, weil die neuen Arbeitswelten noch lange nicht in jedem Unternehmen angekommen sind. Agile Systeme, Growth Mindset, Purpose Unternehmen, dezentrale Organisationen, New Work, etc. sind weder weit genug aus der Filterblase heraus noch flächendeckend und nachhaltig umgesetzt.
Die Abhängigkeit von bestehender Marktwirtschaft
Da unser Wirtschaftssystem ebenfalls nicht von heute auf morgen disruptiv geändert werden kann, ist das Überleben von Unternehmen noch eine ganze Weile an Wettbewerb und Marktentwicklung gekoppelt. Und es wird weiterhin abhängig Beschäftigte geben, die Produkte und Dienstleistungen ihrer Unternehmen herstellen und verkaufen, und die mit ihren Gehältern in einem Marktsystem ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Auch sie stützen die Systemphänomene Wettbewerb und Marktentwicklung durch Konsum.
Es wäre daher unverantwortlich für verantwortungsbewusste Unternehmen, von jetzt auf gleich in ein Eskapismus-Szenario zu verfallen, wie es eine Speakerin vor Kurzem auf einer Veranstaltung pauschal propagierte „Dann macht doch einfach mal den Laden für acht Wochen zu, um Euch neu zu erfinden“.
Ähm, nein, ich bin Betriebswirtin und kann dem wirklich nicht zustimmen. Hier ist m.E. eine Strategie der kleinen Schritte notwendig und die Beidhändigkeit der Ambidextrie.
Ökonomische Auswirkungen des Klimawandels
Es dürften mittlerweile etliche Unternehmen verstanden haben, dass der Klimawandel nicht nur ein ökologisches Problem ist, sondern auch enorme ökonomische Auswirkungen hat – auf die Makroökonomie ebenso wie auf die Mikroökonomie, d.h. auf die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen.
Die ökonomischen Auswirkungen sind zahlreich und vielfältig, daher an der Stelle lediglich ein Beispiel: Sie haben ein Produktionsunternehmen und einer ihrer Zulieferer sitzt in Osteuropa, bezieht aber Komponenten seiner Produkte von verschiedenen weiteren Zulieferern aus Indonesien. Dort hat eine länger andauernde Schlechtwetterlage, die auf die Verlangsamung des Jetstreams (Stefan Röcker hat hierzu einen gut verständlichen Beitrag geschrieben) zurückzuführen ist, zu Überschwemmungen geführt, die in einigen Bereichen Fabrikstandorte zerstört haben. An diesen Standorten wurden Komponenten der Produkte ihres Zulieferers zusammengesetzt, das Lager in Indonesien ist nun überschwemmt, die Ware ist unbrauchbar. Ihr Zulieferer hat Lieferschwierigkeiten, die sich auf Ihre Produkte auswirken. Natürlich können Sie ihm Konventionalstrafen androhen und wegen Nichterfüllung von Verträgen klagen. Sie wissen selbst, dass dies Ihre gegenwärtige Absatzsituation nicht besser macht.
Lean Production hat das Potential für Nachhaltigkeit/Circular Economy
Aus ökonomischen Gründen ist es daher sinnvoll, sich mit Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Dies bedeutet z.B. für ein Produktionsunternehmen, dass es zunächst die eigenen Produkte und Strukturen unter die Lupe nimmt und auf Effizienz und Effektivität abklopft.
Effizienz im Sinne der Vermeidung der Verschwendung von Ressourcen ist ein wesentlicher Teil von Nachhaltigkeit. Lean-Unternehmen (Lean Production, Lean Management, Lean Leadership) haben daher ein hohes Potential um schnell an Nachhaltigkeitsstrategien anschließen zu können.
Technische Kreisläufe für Zero Waste
Was die Effektivität angeht, kann ein Produktionsunternehmen sich der Kreislaufwirtschaft bzw. Circular Economy annähern. Hier geht es nicht mehr um das lineare Produzieren von immer mehr, sondern um eine sehr intelligente Nutzung der eigenen Ressourcen (Produktionssystem, -prozesse und -strukturen) als auch den Einsatz verwendeter Materialien.
Das große Ziel ist es, klimapositiv zu werden und nicht klimaneutral, wie es der reine Nachhaltigkeitsgedanke vorsieht. Das Cradle-to-Cradle-Konzept sieht einen „technischen Kreislauf“ vor, dessen Idee es ist, alle Teile, aus denen ein Produkt besteht, in einen unendlichen Kreislauf der Wiederverwertung – Zero Waste – zu überführen. Dies bedeutet jedoch eine völlige Abkehr gängiger Logik von Wiederverwertung, die im Normalfall mit einem Downcycling einhergeht und am Ende doch noch ein Rest Müll übrigbleibt.
Es bedeutet weiterhin, dass alle Komponenten eines Produktes erstens bekannt und zweitens rückstandslos voneinander trennbar sein müssen. Der Büromöbelhersteller Steelcase z.B. vertreibt einen Bürostuhl, der vollständig in seine Einzelteile zerlegt und wieder zusammengebaut werden kann. Der „technische Kreislauf“ in diesem Modell sieht ein verlustfreies, permanentes Recycling in Verbindung mit Dienstleistungen vor: Es wird kein Produkt verkauft, sondern seine Leistung. Am Beispiel Spülmaschine würde man kein Gerät kaufen, sondern z.B. 50.000 Spülgänge. Danach wird das Gerät vom Hersteller bzw. seinem Logistiker abgeholt, komplett in seine Einzelteile zerlegt und wie Neuteile zu neuen Produkten gefertigt.
Die Idee der Sharing-Economy ist übrigens ja längst bei Gen Y und Z angekommen, es braucht demnach auch nicht wirklich Überzeugungskraft, um Akzeptanz für diese Denkweise herbeizuführen.
Circular Economy in ambidexteren Organisationen
Schöne neue Welt, nicht wahr? Aber nun zur haarigen Seite, der Umsetzung. Um dieses Ideal eines wirklich intelligenten technischen Kreislaufs hinzubekommen, ist die Idee der Ambidextrie sehr hilfreich. Denn bevor es möglich ist, die Produktion vollständig auf Circular oder Cradle-to-Cradle umzustellen, ist ein hoher Aufwand an Entwicklung notwendig.
In etablierten Unternehmen müssen dafür Experimentierräume geschaffen, d.h. der explorative Bereich muss mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet werden. In 2016 hatten wir als Kultur-Komplizen gemeinsam mit dem Wizemann.Space in Stuttgart ein externes Circular Economy Engineering Lab (CEEL) bereits in Grundzügen und mit regionaler Ausrichtung konzipiert. Das Lab hätte New Work und Circular Economy verbunden und war als Lernfeld sowohl für Unternehmen als auch für Berater gedacht. Leider konnten wir es wegen Mangel an Ressourcen (Personal und Kapital) nicht realisieren.
Etablieren von sinnvollen Beziehungen zwischen Exploitation und Exploration
Im Sinne der Ambidextrie ist es sinnvoll, auch den exploitativen Bereich flexibel und selbstbestimmt in die Nachhaltigkeitsstrategie einzubinden, um keine Ressourcen im Sinne von ungenutztem Mitarbeiter*innenpotential und -wissen zu verschwenden. Hier kann das Thema Circular Economy u.a. im Marketing (Employer Branding), im Einkauf (nachhaltige Beschaffung) und auch im Wissensmanagement angedockt werden.
Letztendlich ist es natürlich auch ein New Work Führungsthema, denn egal ob CEO, Middle Manager oder Kreismodell-Führungsrollen, alle Umsetzenden müssen flexibel und selbstorganisiert Entscheidungen treffen können, um fallweise rasch handeln zu können und Kooperationen mit externen Partner*innen einzugehen. Weiterhin braucht der Prozess eine höchstmögliche Transparenz, allerdings mit sensibler Betrachtung von schützenswerten Bereichen, wie z.B. bei Patenten, Urheberrechten oder bereits bestehenden sonstigen Geheimhaltungspflichten und -vorgaben.
Die Umstellung Richtung Nachhaltigkeit/Circular Economy, d.h. sinnvolle Effizienz plus intelligente Effektivität erfolgt für bestehende Unternehmen unternehmerisch sinnvoll also in kleinen, iterativen Schritten. Das bestehende Tagesgeschäft wird so angepasst, dass Wirtschaftlichkeit und Umsätze während der Umstellungsphase gewährleistet bleiben.
Beispielhafte Circular Economy: ein zirkuläres Café
Für junge, kleinere Unternehmen will ich noch kurz folgendes Beispiel für ein zirkuläres Ecosystem nennen: Im Zuge der (Un)Konferenz #NKNA18 – Neue Konzepte für Neue Arbeit, die die Kultur-Komplizen für unsere Initiative priomy im letzten Jahr im CRCLR House in Berlin veranstalteten, hatten wir uns für Isla-Catering aus Neukölln entschieden.
Das Isla ist ein kreislauffähiges Café, das Reste wiederverwertet – egal ob Kaffeesatz, Milchreste aus dem Milchaufschäumen oder Brotreste – und sie in neue Produkte verwandelt. Isla hat 2018 den Gastro-Gründerpreis gewonnen und kooperiert mit lokalen Bio-Lieferanten, das Kaffeegeschirr kommt vom Start-Up Kaffeeform und sind aus Kaffeesatzresten gepresst. Das zirkuläre Ökosystem zeichnet demnach u.a. aus, dass sowohl das Kerngeschäft zirkulär ausgerichtet ist, als auch der Lieferketten-Kontext zirkulär gedacht wird.
So, das soll genug des Inputs gewesen sein – jetzt seid ihr dran! Los geht’s in die neue Wirtschaftswelt, die richtig cool für die nächsten Generationen werden kann – wenn wir denn wollen…
Bis neulich,
Daniela
Dieser Blogbeitrag ist der 2. Teil eines Beitrages zur Blogparade #FutureBusiness #Kopföffner von Stephan Grabmeier: https://stephangrabmeier.de/future-business-blogparade-kopfoeffner-fuer-besseres-wirtschaften/
zum 1. Teil „Von Old Work zu New Work*: Die Brücke heißt Ambidextrie oder hybride Organisation“
Bildquelle: pixabay, CC-o Lizenz gemeinfrei, bearbeitet
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