Das New Work Konzept von Frithjof Bergmann ist nun schon älter als 30 Jahre und so alt ist auch die Bewegung rund um seine Ideen. Oft wird kritisiert, dass der Begriff New Work seit längerer Zeit gründlich verwässert und reduziert verwendet wird. Man mag das zu Recht bedauern. Betrachtet man es aus einer anderen Perspektive, hat die Verwässerung und Reduzierung dazu geführt, dass der Begriff eine größere Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit erlangt hat und dass plötzlich Bücher, die „New Work“ im Titel tragen, wie Pilze aus dem Boden schießen.
New Work Werte
Hier im Blog haben wir zwar noch nicht explizit über New Work und Frithjof Bergmann geschrieben, aber da die Kultur-Komplizen ein Teil von priomy sind, ist es nur logisch, dass sein Konzept auch für uns eine wichtige Impulsquelle für die Entwicklung unserer eigenen Arbeit liefert. Warum?
“There are many ways not to live life.” (Frithjof H. Bergmann)
Ein Zitat mit Tiefgang, wie ich meine. Bergmann adressiert damit nicht nur New Work sondern inkludiert das Leben selbst. Die Schlüsselwerte seines Konzepts lauten daher:
- Unabhängigkeit
- Freiheit
- Teilhabe an der Gesellschaft
New Work liegt für Bergmann auf der globalen Ebene und erschöpft sich nicht in reiner Erwerbsarbeit. Eine Sichtweise, die wir aus der Perspektive der öko-sozialen Nachhaltigkeit nur unterstützen können, denn eine integrierte Denk- und Handlungsweise in den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Soziales inkl. der jeweiligen Wechselwirkungen ist für jedes Unternehmen unverzichtbar, will es langfristig überleben.
New Work global
Schauen wir uns an, was New Work nach Bergmanns Konzept auf einer globalen Basis heißt:
- Rise of intelligent use of decentralised high-innovative technologies for small spaces/regions; new companies, less giant companies
- Transformation from industrial to community production in a smaller space
- Increase of local production (food, furniture, energy, accommodations, etc.)
(Quelle: newwork.global)
Wie hört sich das an? Utopisch? Ich meine, nein. Denn was gefühlt seit Jahrhunderten passiert, ist sowohl die Fragmentierung von Arbeit und als auch eine zunehmende projektbezogene, dezentrale Arbeit, die ortsunabhängig erfolgen kann. Auch wenn ohne entsprechend schnelle Netzabdeckung und Veränderung der rechtlichen Rahmen z.B. das autonome Fahren noch in weiter Ferne scheint, ist es Tatsache, dass wirtschaftlich potente Länder wie China massiv in die Entwicklung von Hochtechnologie investieren. Der Gedanke der „Community Production“ findet sich seit etlichen Jahren z.B. in Bewegungen, die den Gedanken der Postwachstumsökonomie folgen und zeigt sich in Degrowth-Konferenzen oder in Commons-Debatten. Die lokale Produktion findet sich nicht nur in Urban-Gardening- und Transition-Town-Bewegungen, sondern auch in Initiativen wie „Buy local, think global“. Ergänzend dazu wird die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen in den letzten Jahren nicht mehr verschämt hinter vorgehaltener Hand geführt, sondern ist nahezu salonfähig im öffentlichen Diskurs angekommen.
New Work Ziele
Bergmann formuliert folgende Ziele, die mit der Umsetzung von New Work erreicht werden könnten:
- no poverty at all
- significant reduction of body and mind paralyzing work
- enormous increase in seriously chosen work, which promotes consciousness and strengthens body and mind – “work, that you really, really want”
- close the gap between poverty and wealth (1st tsunami)
- stop/reduce climate change (2nd tsunami)
- stop wasting natural resources (3rd tsunami)
- rise of a new culture (4th tsunami)
(Quelle: newwork.global)
Diese Ziele sind nicht ganz unbekannt, oder? Richtig, denn einige dieser Ziele und deren Schnittstellen sind in der Agenda 2030 und damit in den 17 SDGs (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen formuliert.
„Wir können die erste Generation sein, der es gelingt, die Armut zu beseitigen, ebenso wie wir die letzte sein könnten, die die Chance hat, unseren Planeten zu retten.“ (Ban-Ki Moon, UN-Generalsekretär von 2007 bis 2016)
Ursache der „4 Tsunamis“
Bergmann sieht die Ursache der o.g. vier Tsunamis in der Abwertung von Arbeit durch Automatisierung, Globalisierung und der damit verbundenen Landflucht. Wenn wir bedenken, wie abhängig wir von Erwerbsarbeit sind und wie eng diese Abhängigkeit mit gesellschaftlicher Teilhabe verwoben ist, scheint die Hypothese Bergmanns überlegenswert zu sein. Betrachten wir ergänzend, welchen Stellenwert Arbeit als Identifikationsfaktor für uns hat – ein kulturell gewachsenes und durch die christliche Religion verstärktes Phänomen – so ist dies ein weiterer Faktor für Abhängigkeit.
Auf einen Mangel an Arbeitsplätzen reagiert bis heute sowohl die Politik als auch der überwiegende Teil der Wirtschaft mit der Forderung nach mehr Wachstum. Kommt die Wirtschaft politischen Forderungen nach mehr Arbeitsplätzen nach, steigt dennoch die Lohnsumme nicht in entsprechender Weise.
Das Bergmann-Konzept sieht vor, das bisherige Lohnarbeitssystem nicht zu canceln, sondern um zwei neue Arbeitsformen zu ergänzen:
- Die Arbeit für die Gemeinschaftsproduktion
- Die Arbeit, die man wirklich, wirklich will.
Voraussetzung für diese ergänzenden Formen wäre allerdings eine reduzierte finanzielle Abhängigkeit und/oder deren Subsistenz und die Bereitschaft, sich vom Hyperkonsum zu verabschieden. Weiterhin braucht es dazu einen Gesinnungswechsel vom Konkurrenzdenken zum Kooperationsdenken.
New Work – New Culture
Aufbauend auf dieser Dreiteilung der Arbeit wird sich, laut Bergmann, auch eine neue Kultur bilden, die insbesondere auch neue Institutionen, neue Bildung und neue Architektur hervorbringen wird. Auch dies sind keine völlig utopischen Gedanken, sondern u.a. in alternativen Bildungsansätzen längst Realität und eine intelligente Architektur setzt auf ressourcenschonende und nachhaltige Bauweise und Materialien. Bildungssysteme wurden zwar zu allen Zeiten kritisiert, aber gerade im aktuellen Diskurs vor dem Hintergrund individueller Fähigkeiten von Menschen, erfährt unser konventionelles, starres Bildungssystem von vielen Seiten Kritik.
New Work und Lean
Zurück an den Arbeitsplatz: Die New Work Bewegung startete in der Automobilbranche in den USA und zwar 1984 mit dem ersten New Work Center gemeinsam mit General Motors in Flint, Michigan (mehr dazu in „Neue Arbeit, Neue Kultur“, F. Bergmann, Dt. Ausgabe, 2004) . Liegt es da vielleicht nahe, New Work und Lean zusammen zu denken? General Motors gründete 1994 gemeinsam mit Toyota das Joint Venture „New United Motor Manufacturing Inc.“. Dies sollte die Implementierung von Lean Methoden in der Automobilproduktion vorantreiben – mit dem Fokus Vermeidung von Verschwendung durch mehr Effizienz. Effizienz ist auch im Nachhaltigkeitskontext im Sinne von Ressourcenschonung ein Thema, wenngleich die reine Effizienzgläubigkeit mitunter zur Vernachlässigung der Effektivität führt. GM setzte Lean auch im administrativen Bereich ein, führte teilweise das papierarme Büro ein und reduzierte somit signifikant Papier und Druckkosten. Wie wir oben gesehen haben, ist bei Bergmann die Rede von „Klimawandel stoppen (2nd Tsunami)“ und „Verschwendung von natürlichen Ressourcen (3rd Tsunami)“. Da Holz und Wasser den größten Ressourcenverbrauch bei der Papierherstellung darstellen, können wir also annehmen, dass Lean und New Work sich – in diesem Punkt – gegenseitig ergänzen. (Anmerkung: Nein, Nestlé, Wasser ist kein Lebensmittel, sondern Grundrecht!)
Mit der Verbreitung agiler Methoden im Lean-Umfeld agieren Mitarbeitende mehr kontextbezogen statt erfahrungsbezogen. Diese Entwicklung ist – auch wenn sie vielfach scheitert, weil man zu sehr im Methodendenken verhaftet bleibt – sehr wünschenswert, denn so wird es möglich, weniger isoliert zu denken und über den Tellerrand zu schauen. Somit wird es auch wahrscheinlicher, dass Unternehmen sich im Kontext ihrer Umgebung wahrnehmen und schneller ihre Auswirkungen bemerken. Dies kann auch zu mehr Bewusstsein für ökologisch-ökonomische Auswirkungen führen.
New Work und Lean – weitergedacht
Denken wir New Work im Sinne Bergmanns (Sinn- und Gemeinschaftskopplung) ergänzend zur verbreiteten Annahme, dass New Work mit flachen Hierarchien, hoher Partizipation, individueller Freiheit und Selbstbestimmung einhergeht, stellen wir fest, dass damit unweigerlich ein Kulturwandel stattfindet, der sich tief in die Unternehmen einschreibt. Der Kulturwandel wirkt sich u.a. und insbesondere auf unsere sozialen Praktiken aus: Wie gestalten wir z.B. Veränderungen unseres Kommunikationsverhaltens in Folge technischer Digitalisierung? Welche Werte tragen uns heute und in Zukunft?
Im Lean-Kontext tauchen verschiedene Prinzipien auf: an vorderster Stelle die 5 Prinzipien, die aus dem Toyota-Produktionssystem stammen. Bei diesen Prinzipien sehe ich den New Work Anschluss am Besten im Prinzip der „kontinuierlichen Verbesserung/Streben nach Perfektion“ (Kaizen) vertreten. Diese bedingt eine Beteiligung der Mitarbeitenden und die Wertschätzung jedes einzelnen Produktionsschrittes, um Wirkung zu entfalten. Dieses Prinzip kann zudem zu mehr Effizienz beitragen und damit auch zur Vermeidung von Ressourcenverschwendung.
Das Lean-Management nennt 10 Prinzipien. Hier ist der Anschluss an die Prinzipien 6 (Eigenverantwortung, Empowerment und Teamarbeit), 9 (Offene Informations- u. Feedback-Prozesse) und 10 (Einstellungs- und Kulturwandel) möglich.
Auch an die 8 Verschwendungsgründe (Muda; TIMWOODS) besteht ein nahezu perfekter Anschluss beim Punkt „
Ich plädiere dafür, New Work und Lean stärker zusammenzudenken – ganz im Sinne eines „ganzheitlichen Lean-Managementsystems“ (siehe dazu u.a. den Beitrag von Ralf Volkmer auf der lean-knowledge-base.de). Es besteht Grund zur Annahme, dass eine technische Digitalisierung dazu führt, das enorme Verbesserungen durch automatisierte Prozesse erreicht werden können und dass cyber-physische Systeme z.B. im Kontext Industrie 4.0 zunehmen werden. Dennoch ist es der Mensch, der diese Systeme verantwortungsvoll zu gestalten hat und mit ethischen Werten versehen muss. Das Lean-Production-Konzept von Toyota ebenso wie Bergmann können hier sicherlich als Impuls dienen, wobei ein kritischer Blick auf beide Konzept gestattet sein muss und auch angebracht ist. Gerade was die Produktion/dezentrale Eigenproduktion angeht, wäre die Reflexion über Konsumgewohnheiten und -häufigkeit sinnvoll. Im Lean-Kontext kann vielleicht ergänzend eine Diskussion über Effizienz vs. Effektivität nicht schaden. Denn hier wie drüben – es ist wie bei allen Modellen, sie entwickeln und verändern sich mit der intelligenten, undogmatischen Anwendung und der regelmäßigen Reflexion und Verbesserung – je nach Kontext.
Wann fangen wir an?
Bis demnächst,
Daniela
Vielleicht sehen wir uns am 21./22. März 2019 auf der #LATC2019? Die Kultur-Komplizen gestalten dort mit dem Unternehmensdemokraten Dr. Andreas Zeuch eine der Themenboxen unter unserem gemeinsamen Label priomy – https://priomy.events
Zum Weiterlesen:
https://www.epa.gov/lean/general-motors-corporation#application
Titelbild: Pixabay (CC0 Creative Commons) bearbeitet
Hallo Daniela,
nach der Lektüre Deines Beitrags möchte ich dazu etwas anmerken. Über die Neue Arbeit-Neue Kultur nach Bergmann wird viel Diffuses verbreitet und darüber hinaus sehr viel hineininterpretiert, was ursprünglich gar nicht Bestandteil der Überlegungen von Frithjof Bergmann war . . . oder ist. Und das hat damit zu tun, dass viele seiner Aussagen und konzeptionellen Überlegungen sehr allgemein gehalten sind. Das macht sie anfangs zwar sehr zugänglich für viele Menschen, aber gleichzeitig auch sehr beliebig. Das führt dazu, dass die Auseinandersetzung mit der Bergmann’schen Version von „Neue Arbeit“/“New Work“, nach einer relativ kurzen Zeitspanne (je nach Intensität der Auseinandersetzung damit), eine ziemlich zähe und immer auch immer wieder frustrierende Angelegenheit wird. Das gilt insbesondere beim Versuch, seine Grundüberlegungen einer praktischen Relevanz zuzuführen. Kurzum, nach vielen Jahren der Beschäftigung mit „Neue Arbeit“ nach F. B. (in verschiedenen Kontexten), sehe ich in seinen theoretischen Erörterungen und Ableitungen die wesentliche Bedeutung darin, dass er immer wieder versucht hat – und auch heute noch daran arbeitet – eine ganzheitliche Perspektive zum Diskurs über den Stellenwert von Arbeit und Kultur für den Einzelnen und die Gesellschaft herauszuarbeiten. Allerdings ist es ihm und denjenigen, die mit seinen Prämissen und Konklusionen arbeiten, nicht gelungen den politischen und wissenschaftlichen Diskurs zum gesellschaftlichen Stellenwert der Arbeit maßgeblich weiterzentwickeln; das gilt zumindest für mögliche daraus ableitbare praktischen Belange. Schon gar nicht finden sich darin konstruktive Beiträge zur Entwicklung nachhaltiger gesellschaftlicher Lösungen für eine zeitgemäße, zukunftsorientierte Entflechtung und Neuausrichtung des Wirkungsgefüges von Arbeit (geprägt durch Lohnarbeit/abhängige Beschäftigung), gesellschaftlichem und persönlichem Wohlstand (geprägt durch einen katastrophalen Verbrauch an natürlichen Ressourcen in Produktion und Konsum) und der Gesundheit unseres Planeten (geprägt von Krankheit der globalen und lokalen Ökosysteme durch die massive Zerstörung von Naturräumen und der in ihnen beheimateten Lebewesen/Arten).
Sicher, F.B. hat seine grundlegenden Überlegungen bereits vor 30, 40 oder gar 50 Jahren angestellt und niedergeschrieben. Heute stellen sich die technischen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen natürlich anders dar . . . Und ich möchte an dieser Stelle sehr betonen, dass ich keinesfalls die Leistung von Frithjof Bergmann schmälern möchte. Dennoch, die technische, soziale und wirtschaftliche Realität haben seine Ausführungen überholt. Heute sind sie daher im Großen und Ganzen ein Repetitorium historischer, sozialer, philosophischer und anthropologischer Diskurse zum Stellenwert von Selbstbestimmung und Arbeit (materielle und soziale Wertschöpfung) in einer humanen Gesellschaft . . . die natürlich letztendlich das Fundament einer sich wirtschaftlich, sozial und ökologisch durchdringenden Nachhaltigkeit ist.
So gesehen hat die Neue Arbeit-Neue Kultur von Frithjof Bergmann heute den Stellenwert einer Utopie, die uns dabei hilft, dass „moderne“ Menschsein in unserer auf materiellen Wohlstand fußenden Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Die Renaissance, die sein Werk in den letzten ca. 10 Jahren erlebt hat, beruht dabei wohl auf der aktuellen globalen Transformation, maßgeblich befeuert durch die rasant voranschreitenden technologischen Innovationen bei der Digitalisierung immer größerer Datenmengen (Big Data) und der damit einhergehenden wachsenden Konnektivität technischer und sozialer Netzwerke und Systeme. Sie revolutioniert gerade unsere Welt: und eine Schlüsselfunktion nimmt dabei der Wandel unserer Arbeitswelt ein. Die mit diesen Entwicklungen einhergehenden Rahmenbedingungen eröffnen sowohl große Chance als auch viele Herausforderungen, bei dem Versuch die Vision einer sozio-kulturellen Neubestimmung der Arbeit neu zu beleben. Die Bergmann’sche Utopie bietet dabei die Möglichkeit einer interessanten historischen Rückschau, die uns nachvollziehen lässt, wie aus Sicht einer anthropologischen Philosophie aus dem einstigen „Ou Topos“ einer durch das Individuum selbstbestimmten und erfüllenden Arbeitswelt, ein virtueller Sozialraum wird, der die Entfaltung individuell-kreativer Wertschöpfung in einem bisher nicht geahnten Umfang ermöglicht. Die Ursprünge dieser Ausführungen haben zunächst einmal mit dem Konzept der Nachhaltigkeit nichts zu tun.
Die Kernelemente des Bergmann’schen Modells sind:
a) Selbstbestimmung (wirklich, wirklich wollen)
b) High-Tech-Selfproviding (Technik übernimmt die Aufgaben/Tätigkeiten, die Menschen von dem abhalten, was sie wirklich, wirklich wollen)
c) Flexibilisierung der Arbeit: 1/3 abhängige Lohnarbeit, 1/3 Neue Arbeit (in Unternehmen die nach den Grundsätzen von Neue Arbeit-Neue Kultur organisiert sind), 1/3 Arbeit, die man wirklich, wirklich will (wwww); diese modellhaften Überlegungen wurden allerdings von F. B. des Öfteren variiert.
Die Infrastruktur und operationale Plattform dafür sollten/sollen Zentren für Neue Arbeit (-Neue Kultur) bereitstellen. Allerdings hat es die nach meiner Kenntnis nie im umfassenden Sinn gegeben. Ich selbst habe von 2014-2016 ein Projekt für die (Weiter)Entwicklung eines NANK-Zentren Konzepts – und damit verbunden den Aufbau eines internationalen Netzwerks in der Ostseeregion – vom Bundesministerium für Bildung Forschung (BMBF) gefördert bekommen. Wir sind dabei, die Ergebnisse in weiterführende Projektmaßnahmen zu überführen.
Ich schreibe das alles, weil ich Frithjof Bergmann persönlich ganz gut kennen gelernt habe. Wir haben viele gemeinsame Reisen nach Dänemark, Polen und in Schleswig-Holstein unternommen; dabei Gespräche und Workshops an Universitäten, Kreativ- und Innovationszentren, Sozialeinrichtungen und Entrepreneurship-Hubs (durch)geführt. Aus diesen Erfahrungen weiß ich, dass viele Aspekte, die heute dem Modell „Neue Arbeit-Neue Kultur“ zugeschrieben werden, aus der Feder (Taste) derjenigen stammen, die das Bergmann’sche Model für ihre Zwecke in Anspruch nehmen wollen . . . Denn das ist auch wahr: Wir haben bis heute kein besseres, wenn es um einen Orientierungsrahmen für eine kulturelle Neubestimmung von „wertschöpfender“ Arbeit als gesamtgesellschaftlichen Diskurs geht.
Zum Abschluss noch eine Anmerkung zu den Ausführungen zu Effizienz und KAIZEN. Das Verhältnis von Effizienz zu Kreativität und Selbstbestimmung im Kontext sozialer und kultureller Interaktionen ist invers: die Effizienz steigt, die Kreativität sinkt. Und das KAIZEN-Prinzip ist ganz sicher keins, dass dem humanistischen Ideal und auch nicht dem von „Neue Arbeit-Neue Kultur“ entspricht. Das was japanische Großkonzerne unter ständiger Verbesserung unter Beteiligung der Mitarbeiter verstehen, hat nichts mit dem gemeinsam, was bei NANK als Selbstbestimmung und Kreativitätsentfaltung im Zusammenhang mit wertschöpfenden Tätigkeiten verstanden wird.
Beste Grüße
Hans Meves
Lieber Hans,
zunächst einmal Entschuldigung, ich komme erst jetzt dazu zu antworten. Ganz herzlichen Dank für Deinen ausführlichen und aufschlussreichen Beitrag. Ich stimme mit Dir völlig dahingehend überein, dass Bergmanns Modell in vielen Details Schwächen hat und maximal schwierig in eine komplexe und sehr diverse Realität (zumindest in die aktuelle Realität) übertragbar ist. Ebenfalls hast Du völlig Recht, dass sich viele Rahmenbedingungen verändert haben, sowie der Zeitgeist natürlich ein anderer als vor 30 Jahren ist.
Grundsätzlich erwarte ich von einem Modell – völlig egal, von wem es kommt – keine Lösung, sondern sehe es immer als Gesprächsangebot, das weiter und tiefer gedacht werden kann. Die- oder derjenige, der das Modell/Konzept formulierte, hat nie die universelle Übersicht, nie die universelle Weisheit und nie die universelle Erkenntnis. Was ich aber leider sehe, ist, dass Menschen nach wie vor genau solch universelle Antworten von dem oder der Konzeptgebenden erwarten. Ich verstehe sogar, warum das so ist, denn wir sind von Kindheit an gewohnt, von Einzelpersonen Antworten zu bekommen: Eltern, Erziehende, Lehrende. Später kommen abstrakte Bereiche wie Wirtschaft, Wissenschaft und Politik hinzu, von denen wir Antworten erwarten. Ich glaube, dass wir dieses Muster so stark verinnerlicht haben, dass wir nicht auf die Idee kommen, es zu hinterfragen. Das müsste sich m.E. zuerst einmal ändern.
Deinen Missmut, dass sich bisher so wenig verändert hat – vielleicht auch, dass sich der eine oder andere Backlash zeigt – und dass es diese Zentren der Neuen Arbeit (noch) nicht gibt, kann ich sehr gut nachvollziehen. Da ich längere Zeit im Nachhaltigkeitskontext gearbeitet habe, weiß ich wie ermüdend es ist, wenn man fast gebetsmühlenartig wiederholt, dass der Klimawandel ökonomische Auswirkungen hat oder dass nachhaltiges, ressourcenschonendes Wirtschaften langfristig nicht teurer ist als die aktuelle destruktive Wirtschaftsweise. Und wenn man nach Jahren der Wissensvermittlung inkl. Handlungsimpulsen so wenige Fortschritte wahrnimmt. Aber ich sehe gute Veränderungen an vielen Stellen, die man honorieren muss, auch wenn es gefühlt zu kleine Schritte sind. Aber dieses „gefühlt zu klein“ ist meiner eigenen Perspektive geschuldet, für andere sind diese Schritte eine Lernkurve, die für sie wiederum „gefühlt sehr groß“ sein kann.
Was Kaizen angeht: ja, in direkte Verbindung zu Großkonzernen gestellt, kann das Ausbeutung bedeuten. Ausbeutung funktioniert aber auch ganz ohne Kaizen.
Meines Erachtens führt Effizienz nicht kausal zu weniger Kreativität. Gerade aus einer Reduktion von X kann u.U. durch eine höhere Abstraktionsmöglichkeit sogar sehr viel Freiraum und damit Kreativität entstehen. Hier sei nur beispielsweise im Kunstkontext das Schwarze Quadrat von Malewitsch genannt.
Grundsätzlich würde mich sehr interessieren, worum es in Deinen Projekten ging und welche Ergebnisse daraus hervorgegangen sind. Wenn Du magst, kontaktiere mich gerne.
Herzliche Grüße
Daniela