„New Work“ ist im Mainstream angekommen, sagt man neuerdings. Es wird in unterschiedlichsten Varianten und Auslegungen gepredigt, praktiziert und vermarktet. Aufhänger sind gerne die Herausforderungen der Digitalisierung, die sich in sich immer schneller ändernden Marktbedingungen, einer stetig komplexer werdenden Welt im Allgemeinen und dem Mangel an qualifizierten Fachkräften zeigen. Auf nahezu allen Veranstaltungen, die ich in letzter Zeit besuchte, drehte sich das Meiste um genau dieses Themen-Konvolut. Wichtige Dinge, ohne Frage. Aber sind das wirklich die Dinge, die am bedeutsamsten sind, um sich ernsthaft mit New Work und Selbstorganisation zu beschäftigen? Nein, nicht wenn der Begriff New Work in dem Sinne verstanden wird, wie er ursprünglich einmal gedacht war.
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Die Digitalisierung und nicht zuletzt die künstliche Intelligenz stellt uns tatsächlich vor große Herausforderungen und die liegen nicht im technologischen Bereich. Welche Werte, welche Regeln, welchen Umgang braucht es, um daraus für uns Menschen einen Nutzen zu ziehen, von dem alle profitieren? Wie verhindern wir, dass unsere Daten missbraucht werden? Wie gehen wir damit um, dass möglicherweise wesentlich mehr Arbeitsplätze durch Automatisierung verloren gehen, als neue geschaffen werden? Alles wichtige Fragen, die Antworten bedürfen!
Die Digitalisierung hat nicht auf alles eine Antwort
Aber selbst wenn wir in der westlichen Welt diese Antworten finden, was passiert mit den 600 Millionen Menschen in Nordafrika, deren Lebensraum nicht mehr habitabel ist, weil es dort zu heiß ist? Was passiert mit der halben Milliarde Menschen in Südostasien, die kein Trinkwasser mehr bekommen, weil die Gletscher im Himalaya abgeschmolzen sind. Was passiert mit den Milliarden Insel- und Küstenbewohnern weltweit, deren Lebensraum von den Meeren und Ozeanen überspült wird? Diese Menschen und deren Lebensräume sind im globalen Kontext nicht von uns zu lösen, denn wir nutzen ihre Arbeitskraft, ihr Land und ihre Bodenressourcen – und sie müssen irgendwo hin, wenn ihre Heimat nicht mehr bewohnbar ist. Hat darauf die Digitalisierung eine Antwort?
Manche mögen dies als düstere Dystopie abtun, die sich möglicherweise oder auch nicht in ferner Zukunft abspielt. Die Wissenschaft ist sich selbst uneinig, wann diese Szenarien sich abspielen. Der Inselstaat Tuvalu im Pazifik, regelmäßiger Teilnehmer an der der Weltklimakonferenz, steht besonders im Fokus, weil sich hier längst der Klimawandel zeigt: Inseln werden abgetragen und verschwinden. An anderen Stellen wächst Tuvalu wiederum, weil Sand wieder angetragen wird. Insgesamt verändert sich das Aussehen der Inseln und damit ändern sich auch Lebens- und Arbeitsräume der dort lebenden Menschen. Das kann man banal finden, ist es jedoch nicht. Schauen wir z.B. nach Sylt, werden dort seit Jahren immer höherer Aufwand betrieben um Sandstrände zu erhalten. Dieser Aufwand hat einen wirtschaftlichen Wert, denn er wirkt sich auf eine Region aus, die vom Tourismus lebt. Um es verkürzt und trivial zu formulieren: Kein Sandstrand, keine Touristen. Keine Touristen, kein Einkommen. Kein Einkommen, kein Konsum. Kein Konsum, keine Marktwirtschaft. Auch wenn die Ergebnisse der Klimakonferenz mäßig sind, sicher und Konsens ist, dass etwas geändert werden muss, wie wir Menschen miteinander und den Ressourcen unseres Planeten umgehen, darüber ist sich Wissenschaft und Politik (mit Ausnahme der USA) mittlerweile einig.
Und wenn ich mir die heute schon sichtbaren Folgen des Klimawandels ansehe, dann bin ich mir überhaupt nicht mehr so sicher, dass nicht ich selbst in den nächsten 30-40 Jahren noch eine der großen Klimakatastrophen mitbekomme. Man denke nur an den europäischen Dürresommer 2018, der direkt auf die Erwärmung der Arktisregionen und den dadurch abgeflauten Jetstream zurückzuführen ist, der die Hochs und Tiefs über Europa nicht weiterbewegen konnte – sehr anschaulich erklärt in diesem Video von ARD-Wetter vor acht vom 9. November 2018 (Link führt zur ARD-Mediathek). Ich gehe davon aus, dass das kein Einzelfall war und wir in den nächsten Jahren weiter mit solchen Dürren und anderen Extremwettersituationen zu kämpfen haben werden. Welche Folgen das für die Landwirtschaft und die Wirtschaft im Allgemeinen hat, mögen sich alle selber ausmalen.
Was hat das alles mit New Work zu tun?
Eine gute Frage, denn wenn unter „New Work“ nur ein Geschäftsmodell verstanden wird, um Beratung zu verkaufen, dann absolut gar nichts. Und auch wenn darunter lediglich Teambuilding-Maßnahmen, wie Tischkicker, Sitzecke und das berühmte Bällebad verstanden werden oder flexible Arbeitszeiten und -orte, brauchen wir nicht weiter nachzudenken, was das Obige mit New Work zu tun haben könnte.
Wenn New Work aber ökonomisch, sozial und ökologisch verstanden wird, wie Frithjof Bergmann den Begriff ursprünglich definiert hat, dann hat New Work sehr viel damit zu tun. Denn dann geht es um einen Kulturwandel, der nachhaltige Ziele in allen drei Bereichen verfolgt. Bergmann formuliert diese Ziele so:
• Keine Armut mehr
• Signifikante Reduzierung der Arbeit, die Körper und Geist lähmt
• Enorme Steigerung der ernsthaft ausgewählten Arbeit, die das Bewusstsein fördert und Körper und Geist stärkt – „Arbeit, was du wirklich, wirklich willst“.
• Die Lücke zwischen Armut und Reichtum schließen (1. Tsunami)
• Stopp/Reduktion des Klimawandels (2. Tsunami)
• Aufhören, natürliche Ressourcen zu verschwenden (3. Tsunami)
• Aufstieg einer neuen Kultur (4. Tsunami)
Kern des Ganzen, ist den Menschen den Raum zu geben, herauszufinden, was sie wirklich, wirklich wollen, eine eigene Identität zu entwickeln, um diese in die Organisation und die Gemeinschaft zurückzuspielen. Oder um es mit Shelley Sacks zu formulieren: „Ohne Ich, kein Wir“. Wenn Menschen wissen, was sie wirklich wollen und das auch umsetzen können, dann tun sie das mit mehr Hingabe, Begeisterung und der Bereitschaft zur Kooperation. Das führt zu weniger Frust und befreit von Neid und Konkurrenzdenken.
Eine wichtige Voraussetzung, um eine neue (Unternehmens-)Kultur entstehen zu lassen. Dass das Leben nicht nur die schönen Dinge mit sich bringt und kein Ponyhof ist, soll dabei nicht außer Acht gelassen werden.
Sicher müssen auch Tätigkeiten verrichtet werden, die niemand gerne tut, daher teilt Bergmann die Arbeit, die ein Mensch erledigt, in drei Teile auf. Ein Teil ist die klassische Erwerbsarbeit, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ein Teil die Selbstversorgung – oder wie ich es sehe, soziale Gemeinschaftsarbeit – und ein Teil die Arbeit, die man wirklich, wirklich will.
Der Punkt ist, dass dieses „wirklich, wirklich wollen“ nicht funktioniert, wenn New Work isoliert verstanden wird. Ein Unternehmen muss bereit sein, seiner Belegschaft Zeit für dieses Finden zur Verfügung zu stellen und einen hohen Grad an Freiheit und damit Partizipationsmöglichkeiten bieten.
Dies in einer Organisation umzusetzen, bedeutet das Unternehmen ökonomisch erfolgreicher, ökologisch nachhaltig und sozial stärker aufzustellen, um ein Teil dazu beizutragen, die Welt ein wenig enkeltauglicher zu machen. Denn sonst kommt nach uns wirklich die Sintflut.
Mit besten Grüßen
Stefan
Titel: Pixabay (CC0 Creative Commons) bearbeitet
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