Wenn Du anfängst über wertebasierte Unternehmenskultur nachzudenken – sei es in einer externen Transformationsbegleitung oder direkt involviert als Arbeitnehmer und/oder Führungskraft – wirst Du Dich in aller Regel zuerst mit folgender Frage beschäftigen: „Kann ich die Kultur des Unternehmens, der Organisation aktiv verändern?“ Wenn Du dazu recherchierst, wird gute Fachliteratur Dir antworten „Nein, kannst Du nicht, Du kannst nur Rahmenbedingungen aktiv verändern.“. Weniger gute Literatur wird Dir antworten „Ja, klar kannst Du aktiv verändern, Du musst nur an den richtigen Stellschrauben drehen.“ Eine unschöne Lage, denn wie genau willst Du beurteilen, was gute und was weniger gute Literatur ist, zumal sich Managementansätze alle paar Jahre ändern? Laß‘ uns also einen Schritt zurückgehen.
Die verletzte Kultur zeigt sich
Kultur ist etwas, das den meisten von uns im Alltag nicht bewusst ist, weil sie so tief in uns verankert und so omnipräsent ist, dass wir sie als selbstverständlich vorhanden annehmen. Kultur repräsentiert materielle Dinge auf die Art und Weise wie sie (beschaffen) sind und sie repräsentiert Phänomene wie wir sie wahrnehmen. Kultur repräsentiert explizite und implizite Regeln (einer Gesellschaft) und ist die Summe kollektiver Annahmen, Werte und Erwartungen. Kultur fällt so lange nicht auf, bis sie verletzt oder angegriffen wird. Erst dann fangen wir an, über sie zu reden und darüber nachzudenken.
Wie „lernen“ wir Unternehmenskultur?
Exakt so ist dies auch in der Organisations-/Unternehmenskultur. Wir „erlernen“ die Kultur unseres Unternehmens durch Sozialisierungsprozesse, durch Annäherung und Nachahmung. Wenn sich das für Dich abstrakt anhört, dann erinnere Dich an Deine ersten Tage als Neuling in Deinem Unternehmen: es war ein vorsichtiges Herantasten, Du hast erlerntes Verhalten angewendet (z.B. die Art und Weise wie man anderen höflich und freundlich gegenübertritt) und auf Reaktionen gewartet, Du hast beobachtet und Dein Verhalten dem allgemeinen Gruppenverhalten angepasst. Kurz: Du hast versucht, Dich ins Gesamtgefüge möglichst reibungsfrei zu integrieren. Dies alles hast Du unbewusst gemacht und sicherlich nicht systematisch geplant.
Unternehmenskultur ist häufig unproduktiv, sie ändert sich z.B. mit der Entwicklung des Lebenszyklus eines Unternehmens oder als Folge einer Krise oder Bedrohung. Ist Unternehmenskultur jedoch verletzt und wirkt sich destruktiv auf die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens aus, sind aktive produktive Initiativen notwendig, um einen Kulturwandel zu ermöglichen.
Wertebasierte Unternehmenskultur
Nachfolgend stellen wir Dir ein Rahmenwerk zur Organisationsveränderung vor, das den Fokus auf Wertedimensionen legt. Konkret bezieht es sich auf Werte, von denen angenommen wird, dass sie ein Unternehmen erfolgreich und lebensfähig machen. Das heißt, diese Werte sind auf den Erhalt und Fortbestand eines Unternehmens gerichtet. Diese Werte schlagen sich im Denken und Handeln der Beschäftigten nieder und prägen den Unternehmensalltag.
Competing Values Framework (CVF)
Das Competing Values Framework (CVF) ist eine Theorie, die 1983 von Robert Quinn und John Rorbaugh entwickelt wurde und von Fakultätsmitgliedern der University of Michigan weiter beforscht wurden. Daraus entstand das OCAI, Organizational Culture Assessment Instrument, welches Kim Cameron und Robert Quinn 1999 initiierten. Das CVF ist ein weit verbreitetes und anerkanntes Modell im Bereich der Organisationskulturforschung.
Die Dimensionen des CVF
Die Dimensionen des Competing Values Framework (CVF) sind vertikal und horizontal angeordnet, woraus sich vier Quadranten ergeben. Cameron und Quinn stellten fest, dass einige Organisationen effektiv waren, wenn sie anpassungsfähig und flexibel agierten, andere Organisationen waren bei Stabilität und Kontrolle effektiv. „In ähnlicher Weise waren einige Organisationen effektiv, wenn sie effiziente interne Prozesse aufrechterhielten, während andere effektiv waren, wenn sie eine wettbewerbsfähige externe Positionierung gegenüber Kunden und Klienten aufrechterhielten“ (Quinn & Rohrbaugh, 1981; Quinn & Cameron, 1983; Cameron, 1986; Cameron, Quinn, DeGraff, & Thakor, 2006).
Die 4 Quadranten des Competing Values Framework:
Collaborate-Quadrant
Der Collaborate-Quadrant repräsentiert Menschen, Prozesse und Ziele, die größeren Wert auf Kooperation und Zusammenarbeit legen. Menschen in diesem Quadranten neigen dazu, sich für ihre Gemeinschaft zu engagieren, wobei sie sich auf gemeinsame Werte und Kommunikation konzentrieren. Ihre Kultur fokussiert auf Beteiligung und den Aufbau von langfristigem Engagement. Führungskräfte bauen die Organisation auf, indem sie vertrauensvolle Beziehungen fördern und die Gemeinschaft pflegen. Kunden werden als Partner wie in einer erweiterten Gemeinschaft gewertet. Wird der Kollaborationsgedanke zum Hauptarbeitsmotivation, besteht die Gefahr, dass sich die Umgebung dahingehend wandelt, dass Ergebnisse und Zielerreichung in den Hintergrund rücken. In der Praxis erlebten wir dies mehrfach in „New Work Unternehmen“.
Create-Quadrant
Im Create-Quadrant finden sich Menschen und Praktiken, die eine starke Affinität zu Kreativität, Innovation und Vision haben. Personen in diesem Quadranten haben eine Neigung zur aktiven Veränderung. Hier finden sich verstärkt Experimentierfreudigkeit, Flexibilität und Zukunftsvisionen. Die Generierung von Ideen mit Blick auf wirtschaftliche Verwertung steht im Fokus. Unternehmensgründer mit dieser Perspektive haben – neben einer Vision – den Wunsch, Neues zu schaffen und daraus Wachstum zu schöpfen. Technologiefortschritt hat hier einen hohen Stellenwert.Wer Unternehmen gründet, neigt dazu, etwas Neues zu schaffen. Zu den treibenden Zielen gehören Innovation und/oder Wachstum mit zukunftsorientierten Produkten oder Dienstleistungen. Sie streben danach, ihre Produkte, Dienstleistungen und Ideen auf die Zukunft auszurichten. Die Überbetonung des Quadranten, kann bedeuten, dass Chaos den operativen Alltag bestimmt, z.B. wenn eine neue Idee nach der anderen ausprobiert wird, ohne vorherige Ideen zu validieren.
Compete-Quadrant
In diesem Quadranten reproduziert sich die klassische Lesart von Wirtschaft: aggressiver Wettbewerb und Leistung. Die Konzentration auf die Zielerreichung sorgt dafür, dass Menschen hier als Gewinner oder Verlierer repräsentiert sind. Unternehmen mit diesem Fokus betonen Geschwindigkeit und das Erreichen von Ergebnissen. Ihr Antrieb sind Gewinne, das Erlangen (oder Erhöhen) von Marktanteilen und/oder Markenwert. Manager in diesem Quadranten haben eine Affinität zu Konkurrenz, „harter Arbeit“ und Produktivität. Man ist bestrebt, schnelle Ergebnise zu liefern, um andere zu schlagen. Wird dieses Motiv überbetont, besteht die Gefahr, dass Eigeninteressen, Machtansprüche und Konflikte leitend werden und Humanaspekte vernachlässigt werden.
Control-Quadrant
Den Control-Quadrant füllen Praktiken aus, die zu einer vorhersehbaren, verlässlichen Leistung führen. Personen mit diesem Profil neigen dazu, systematisch, vorsichtig und praktisch zu sein. Ihre Kultur hat eine Affinität für Planung, effiziente Systeme, Prozesse und Compliance. Kontrollorientierte Unternehmen neigen dazu, sehr viel Aufwand zu betreiben, dass die Dinge reibungslos und effizient ablaufen. Hohe Qualität und/oder Optimierung sind hier leitende Faktoren. Die Managementpolicy lautet hier vielfach: Prozesse optimieren, Kostensenkung, Richtlinien/Verfahren festlegen. Klare Rollendefinitionen sind wichtig. Bestehende Produkte werden hier eher erweitert oder geringfügig verändert, statt neuer Produkte zu entwickeln. Die Überbetonung der Kontrollidee sorgt vielfach für hohen Dokumentationsaufwand und Bürokratie und birgt die Gefahr organisatorischer Stagnation.
Um mit diesem Framework in der Praxis im Kontext wertebasierte Unternehmenskultur zu arbeiten, ist es wichtig zu erkennen, dass in jedem Unternehmen regelmäßig alle vier Quadranten zu finden sind. Keiner der Quadranten ist gut oder schlecht. Je nach Lebenszyklusstand und wirtschaftlicher Lage eines Unternehmens können die Ausschläge in den Quadranten verschieden stark ausgeprägt sein. Das OCAI-Instrument kann online getestet werden. Eine grobe Momentaufnahme der Unternehmenskultur aus der Perspektive desjenigen, der das Tool bedient, ist damit sicherlich möglich. Es darf jedoch nicht erwartet werden, dass ein Online-Tool einen ernsthaft gewollten Kulturwandel leisten kann.
Bis neulich,
Daniela
Weitere Informationen:
https://www.ocai-online.com/
culture_assessment_workbook-pdf
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