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Ein frohes neues Jahr aus dem Komplizenquartier! Nachdem wir im letzten Jahr recht nomadisch unterwegs waren, was das Bloggen angeht und zwischen priomy.de, unternehmensdemokraten.de und anderen Plattformen variiert haben, werden wir in 2019 vorläufig sesshaft und füllen unseren Komplizenblog wieder regelmäßig.

Den Auftakt macht der erste Teil einer kleinen Serie, die sich um unbewusste Annahmen und implizite Voreingenommenheiten (auch unconscious bias genannt) dreht:

Und ewig grüßt das Murmeltier

Also, ganz ehrlich, mich nervt es, wenn ich im Zusammenhang mit New Work oder generell Transformation in Unternehmen von BeraterInnen höre, „Das ist doch nichts Neues, das gab es schon in den 70ern!“ gerne in Kombination mit „Das hat doch schon damals nicht funktioniert!“. Jedes Mal frage ich mich, was mein Gegenüber – überwiegend sind es männliche Wesen – mir damit eigentlich sagen will. Meint er, dass etwas, das nicht neu ist, nicht gut sein kann? Denkt er, dass etwas, das mutmaßlich einmal nicht funktioniert hat, nie wieder funktioniert? Woran misst er, dass etwas nicht funktioniert hat? Welches Ausmaß hat dieses Nicht-funktionieren und woher hat er so einen Überblick um pauschal zu beurteilen? Und vor allen Dingen: wieso reklamiert er im Gespräch die Deutungshoheit über etwas?

Transformation in neue Arbeitswelten

Natürlich ist es trivial, dass Unternehmen sich in gefühlt jeder Dekade überlegen, wie sie sich besser (vulgo: konkurrenzfähiger) aufstellen können. Das ist in kapitalistisch-kompetitiven Wirtschaftssystemen die Regel. Dass damit immer interne Überlegungen zur Umstrukturierung aufgrund einer Kosteneinsparungslogik einhergehen, ist auch normal. Auch Überlegungen zu sozialen Veränderungen sind normal, denn nach immer noch vorherrschender betriebswirtschaftlicher Lesart gilt der Mensch nach wie vor als Produktionsfaktor, den es zu pflegen (mal mehr oder weniger) und zu erhalten gilt – auch wenn wir New Work Fuzzis das nicht gerne hören.

Modelle für soziale Veränderungen gibt es seit Beginn der Industrialisierung als die ersten negativen Auswirkungen für den Produktionsfaktor (sorry!) Mensch sichtbar wurden. Bereits zur Weltausstellung um 1900 in Paris wurde die „soziale Frage“ von Intellektuellen und verantwortungsvollen Unternehmern parallel zu den technischen Errungenschaften der Zeit diskutiert. Das heißt, Modelle zur Verbesserung/Veränderung sind eine Begleiterscheinung einer kapitalistisch-kompetitiven Wirtschaftsordnung. Je nach Zeitgeist bekommen sie andere Namen, verändern sich nuanciert oder wechseln die Perspektive, aber die grundlegende Intention bleibt gleich. Ich wage die These, dass es ohne eine kapitalistisch-kompetitive Ordnung solche Modelle nicht gäbe und wenn es sie gäbe, sie sich ein anderes Verbesserungsziel aussuchen würden.

Breaking Bias 1 – Meine eigenen Annahmen

Zurück zu meinem Gesprächspartner. Warum frage ich mich, was mein Gegenüber mir mit der Aussage „Das ist doch nichts Neues, das gab es doch schon…!“ sagen will? Nun, zuerst einmal, weil ich ein positiv denkender Mensch bin und annehme, dass er um die betriebswirtschaftlichen und historischen Begebenheiten weiß. Ich biete ihm sozusagen eine Gesprächsgrundlage auf Augenhöhe, indem ich annehme, dass er einen ähnlichen Wissensstand hat wie ich. Diese Annahme kann falsch sein. Ich nehme also vielleicht fälschlicherweise an, dass er weiß, dass diese ganzen Transformationsmodelle nichts Neues sind, sie diverse Autoren und Nuancen haben und man daher das Rad nie neu erfindet, sondern nur am Rad selbst etwas ändert. Heißt wiederum, dass ich seine Aussage nicht in mein System einordnen kann.

Einordnung wäre an dieser Stelle aber hilfreich, damit ich sie entweder abschließen kann, d.h. ich ignoriere sie, oder aber anknüpfen und ihm etwas entgegnen kann. Wenn die Aussage als Frage formuliert wird, neige ich – je nach Tagesform und Sympathielage für mein Gegenüber – dazu, entweder mit einer Gegenfrage à la „Wieso muss es denn Deiner Ansicht nach etwas Neues geben?“ zu kontern, oder ihm einen Lösungsvorschlag anzubieten wie z.B. „Ja, aber die Rahmenbedingungen, die gesellschaftlichen Strukturen, der gesellschaftliche Konsens, etc. haben sich geändert.“ Damit will ich ihm sagen, dass ich ihm zwar zustimme, dass es nichts Neues ist, dies m. E. aber egal ist, weil es eher auf den Kontext ankommt. Womit wir bei einer weiteren Annahme wären: Ich nehme an, dass ich es besser weiß als er. Auch diese Annahme kann falsch sein.

Breaking Bias 2 – mein Gegenüber

Lassen wir den Aspekt „Männer erklären Frauen gerne die Welt“, mansplaining genannt, mal außen vor (Vielleicht mache ich dieses Faß an anderer Stelle nochmal auf, falls gewünscht.) und konzentrieren uns nur auf die genderneutralen Annahmen meines Gegenübers. Da wäre zunächst die Annahme und damit auch die Erwartung, dass etwas neu sein muss, um zu funktionieren. Nehmen wir an (sic!), funktionieren bedeutet, dass etwas eine bestehende Situation in Bewegung bringt, so dass sie sich in der Zeit verändert und dass das Ergebnis eine positive Auswirkung für alle Beteiligten hat. Ich hoffe, das ist abstrakt genug formuliert. Mir scheint, dass hier eine ganz grundlegende Annahme vorliegt, die sowohl in unserer sozio-kulturellen Erziehung als auch in unserem Konsumverhalten ihren Ausgangspunkt hat.

Mit dem Begriff „neu“ verbinden wir in der Regel etwas Frisches, Ungenutztes und Unverbrauchtes, das als attraktiv und/oder ästhetisch schön empfunden wird, mitunter auch weil wir zu seinen ersten Benutzern gehören. Mit dem Begriff „alt“ verbinden wir im Allgemeinen etwas Ge- oder Verbrauchtes, was nicht mehr leichtgängig ist, quietscht und knarrt und eindeutig einen Verfall anzeigt, den wir nicht mögen und dem wir „Leistungsfähigkeit“ absprechen. Auf diesem Verständnis fußt das gesamte System des Jugendkultes, der sich vollflächig in unserem Konsumsystem niederschlägt. Auch unsere Angst vor dem Tod ist mit diesem System verbunden. Ergo, die Erwartung, dass etwas Neu sein muss, wenn es funktionieren soll, ist in diesem Kontext zu sehen und damit auch die Aussage meines Gegenübers. Kann man ok finden, kann man aber auch hinterfragen. Psychologen nennen diese Annahmen in Bezug auf Personen übrigens implizite Assoziationen.

Verzerrte Informationslage

Weitere Annahmen meines Gegenübers liegen in verschiedenen Aspekten, die er ausblendet und die alle mit fehlenden oder auch verzerrten Informationen zu tun haben: In welchen und in wie vielen Unternehmen hat er das Nicht-Funktionieren festgestellt? Welchen Zeitraum betrachtet er? Welche geografische Region? Welche Branchen? Hat er es überhaupt selbst festgestellt oder übernimmt er Aussagen von anderen, die er für gültig und richtig erachtet? Sind diese Aussagen gültig und richtig und auf welcher Basis? An dieser Stelle ist meine Reaktion auf seine ergänzende und pauschale Aussage „hat nicht funktioniert…“ maximal kritisch, weil ich erstens keine Ahnung habe, ob er seine Wertung aus repräsentativen Quellen ableitet und zweitens nicht weiß wie er üblicherweise Informationen verarbeitet (Levels-of-Processing-Ansatz), um daraus seine Erkenntnisse zu ziehen. Um in eine hoffentlich fruchtbare Diskussion zu kommen, würde ich ihm jetzt genau die obigen Fragen stellen.

Learning für die eigene Reflexionspraxis

Meine Mama würde jetzt sagen, „Kind, sowas macht man nicht!“, aber ich finde es durchaus hilfreich, sein Gegenüber zu beobachten und im Nachhinein über seine Kommunikationsattitüde und sein Verhalten zu reflektieren. Ich lerne dabei auch Einiges über mich selbst. Nicht immer, aber oft.

In diesem Sinne, viel Spaß beim Beobachten! 😊

Bis demnächst,
Daniela

 

Bildquellennachweis: Pixabay, CC-0 Lizenz, gemeinfrei