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Offener Brief an das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg und an den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg

Sehr geehrte Frau Dr. Hoffmeister-Kraut, sehr geehrter Herr Kretschmann,

zunächst einmal ganz herzlichen Dank an Sie und alle ihre Kolleg*innen, die innerhalb sehr kurzer Zeit das Förderprogramm „Soforthilfe Corona“ für KMU, Freiberufler und Sozialunternehmen aufgesetzt haben. Im Hinblick auf vielfältige Überlegungs-, Abwägungs- und Abstimmungsprozesse ergänzt um die notwendigen Ablaufstrukturen, ist dies eine wirklich bemerkenswerte Leistung für hierarchisch geprägte Organisationsformen. Offensichtlich ist allen politischen Beteiligten auch bewusst, dass es Unternehmen in dieser Situation nicht zuzumuten ist, seitenweise Förderanträge und -anforderungen durchzuarbeiten. Auch dafür gebührt Ihnen Anerkennung.

Uns ist auch klar, dass aufgrund der Komplexität der sehr verschiedenen unternehmerischen Tätigkeiten eine „one size fits it all“-Lösung aus ihrer Perspektive schwierig zu realisieren ist, zumindest wenn alle politischen Beteiligten offensichtlich eine Lösung präferiert haben, die an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Ob eine bedingungslose Lösung sinnvoller und auch realisierbar gewesen wäre, vermögen wir nicht zu beurteilen.

Was wir jedoch sagen können, ist, dass die Anforderungen und Richtlinien, die im Antrag als auch auf den ergänzenden Informationsseiten formuliert wurden, aus unserer unternehmerischen Perspektive eindeutig zu kurz springen, bzw. dort Annahmen zugrunde gelegt wurden, die – zumindest in unserer Praxis – zu wenig Realitätsbezug haben und daher verbesserungswürdig sind:

1. „Gründe für eine existenzbedrohliche Wirtschaftslage“:

a. Eine existenzbedrohliche Wirtschaftslage wird angenommen, wenn sich für den Monat, in dem der Antrag gestellt wird, ein Umsatz- bzw. Honorarrückgang von mindestens 50 Prozent verglichen mit dem durchschnittlichen monatlichen Umsatz (bezogen auf den aktuellen und die zwei vorangegangenen Monate) im Vorjahr ergibt (…)

und/ oder

b. der Betrieb auf behördliche Anordnung wegen der Corona-Krise geschlossen wurde. Dies gilt auch für in diesen Betrieben arbeitende Selbständige

und

c. die vorhandenen liquiden Mittel nicht ausreichen, die kurzfristigen Verbindlichkeiten (bspw. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten) zu zahlen. ( … ) (siehe Richtlinie, Fußnote 2)

zu a)
Gerade die monatlichen Einnahmen von Freiberuflern variieren oft extrem. Es kann sein, dass über mehrere Monate gar keine oder nur sehr geringe Einnahmen erzielt werden und in einem Monat sehr hohe Einnahmen oder umgekehrt. Mit einem Vergleich zwischen 2 Monaten innerhalb einer Jahresfrist kann daher nicht bewertet werden, ob eine existenzbedrohliche Wirtschaftslage vorliegt. Um dies zu bewerten, müsste ein durchschnittlicher Monatsumsatz basierend auf dem Jahresumsatz errechnet werden. Hier kann es jedoch auch sein, dass der durchschnittliche Monatslohn z.B. im 1. Quartal 2019 niedriger lag, als der Umsatz im 1. Quartal 2020.

Was hinzu kommt: Im Moment wäre ein finanzieller Engpass evtl. noch zu handeln, im nächsten Monat jedoch nicht mehr, weil künftige Aufträge storniert wurden. D.h. die Fixierung auf Unternehmen die JETZT existenzbedroht sind, greift zu kurz – die existenzbedrohliche Lage wird bei Vielen erst noch eintreten. Wir stehen relativ oft weit hinten in einer langen Zuliefererkette.

Ergänzend: Wenn meine Umsatzeinbußen nur bei 49% liegen, bin ich dann nicht in einer existenzbedrohenden Wirtschaftslage?

zu b und c)
Falls der Punkt 1 auf mein Unternehmen nicht zutreffen würde, bestünde nun Hoffnung, dass 2 und 3 für mich passen würden. Mit dem „und“ zwischen 2 und 3 sind jedoch alle Unternehmen ausgeschlossen, die NICHT behördlich geschlossen wurden – d.h. mein Unternehmen muss eine fehlende Liquidität haben UND behördlich geschlossen sein. Hier fällt also ein großer Teil aller Dienstleister, wie z.B. Beratungsunternehmen, Marketingagenturen aber auch kleinere Handwerker weg. Diese sind in aller Regel mittelbar von Corona betroffen, weil sie Lieferanten von Kunden sind, die aktuell selbst in wirtschaftliche Notlage geraten sind. Wir hoffen sehr, dass dies nur ein Schreibfehler ist und dort eigentlich „und/oder“ stehen müsste.

2. „Anträge, die sich auf Liquiditätsengpässe oder Umsatzeinbrüche beziehen, die vor dem 11. März 2020 entstanden sind, sind nicht förderfähig.“

Wir verstehen, dass man einen Startpunkt braucht, ab dem die Förderung einsetzen kann. Dies auf den offiziellen Ausruf von Corona zur Pandemie festzumachen, greift für uns zu kurz. Seit ca. Mitte Februar beobachten wir über die sozialen Medien Mitteilungen von Freiberuflern, die von Auftragsstornierungen berichten, die Auftraggeber aufgrund von Corona vornehmen, auch ohne offizielle Pandemie-Erklärung. Veranstalter, deren Veranstaltungen im März liegen, hatten ebenfalls ab Februar bereits unverhältnismäßig hohe Ticketstornierungen im Vergleich zu vergangenen Veranstaltungen.

3. „Die Angabe des entgangenen Gewinns reicht nicht aus.“

Diese Formulierung ist uns leider zu ungenau und wir bitten daher um Erläuterung. Lt. BGB-Definition gilt der Gewinn als entgangen, „welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.“ Üblicherweise findet der entgangene Gewinn im Zusammenhang mit Schadensersatz statt, d.h. meine eigene Arbeitskraft und/oder Produktionsmittel können nicht eingesetzt werden, z.B. wegen eines Unfalls. Im Falle von Corona, so ich nicht selbst infiziert bin, ist es jedoch so, dass meine Arbeitskraft (und ggfs. meine Produktionsmittel) zu 100% zur Verfügung stehen, es fehlt jedoch die Bereitschaft und die Möglichkeit auf der anderen Seite, meine Arbeitskraft zu nutzen, weil dort z.B. selbst Liquiditätsengpässe und Umsatzeinbrüche bevorstehen.

Weiterhin: Was ist es anderes als entgangener Gewinn, wenn Aufträge auf 2 Monate hinaus storniert oder zu erwartende Honorare für geplante, aber abgesagte Workshop-Termine ausbleiben?

4. Sonderfall Baden-Württemberg: „Die bisherige Ausgestaltung der Förderkriterien in Baden-Württemberg beinhaltet, dass erst private liquide Mittel aufgebraucht werden sollen, ehe ein Antrag gestellt werden kann.“

Vielleicht braucht es hier ein deutliches Bild: Freiberufler, Solo-Selbstständige und Kleinunternehmen fahren mehrheitlich „auf Sicht“. Gerade aufgrund der häufig unvorhersehbaren und stark variierenden Umsatzsituationen, versuchen viele Freiberufler, sich wenigstens eine kleine Rücklage aufzubauen, damit man mehr als einen Monat im Voraus planen kann oder Geld für unvorhergesehene Ausgaben beiseite legen kann. Das heißt, wenn diese Mittel aufgebraucht werden müssen, wird die finanzielle Lage noch unsicherer.

5. Last but not least: Die Förderung wird als „verlorener Zuschuss“ bezeichnet.

Mit Verlaub, diese Formulierung finden wir diskriminierend. Unsere unternehmerische Tätigkeit ist in dieser Lesart also unnötig, weil verloren. Die Fördermittel, die wir erhalten könnten, sind verloren, weil unsere unternehmerische Tätigkeit keinen Wert für die übrige Wirtschaft hat? Bei allem Verständnis für behördliche Formulierungen, etwas Fingerspitzengefühl täte hier unseres Erachtens gut.

Wir verstehen sehr gut, dass die Bedingungen und Richtlinien für das Fördermittelprogramm dazu dienen sollen, einem etwaigen Missbrauch entgegen zu wirken. Das ist sicherlich richtig und grundsätzlich zu begrüßen. Unserer Erfahrung nach, kann Missbrauch jedoch auch mit allergrößter Sorgfalt nie ganz ausgeschlossen werden und wir würden uns in dieser Situation wünschen, dass solche Gedanken zurückgedrängt würden, weil sie eher blockieren und weniger zu guten zeitgemäßen Lösungen führen.

Wir wären Ihnen und allen politischen Beteiligten für ein gutes Maß an Vertrauen in die Ehrlichkeit und Solidarität aller Freiberufler, Selbständigen und KMU sehr dankbar. Natürlich können wir nur für uns sprechen, aber wir haben die Selbstständigkeit gewählt, weil wir sie lieben und unserer unternehmerischen Tätigkeit mit großer Leidenschaft nachgehen. Wir sind sehr sicher, dass es einem Großteil unserer Kolleginnen und Kollegen ähnlich geht. Niemand von uns macht „nur einen Job“, sondern wir arbeiten gerne.

In diesem Sinne würden wir uns freuen, wenn unsere Anmerkungen zu einer Verbesserung des Förderprogramms Soforthilfe Corona (auch rückwirkend) beitragen würden.

Herzliche Grüße und bleiben Sie gesund
Daniela und Stefan Röcker

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