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Wie alles begann

Der zweite Artikel zum Thin White Duke ist mein erster Beitrag zur gemeinsamen Blogserie zusammen mit Daniela. Den allerersten Kontakt mit David Bowie, an den ich mich deutlich erinnern kann, ist ein Videoeinspieler bei Thomas Gottschalks Vorabendshow »Na sowas«. Der Anlass: die Veröffentlichung des 1984er-Albums »Tonight« mit der Singleauskopplung »Blue Jean«. Es gibt definitiv interessantere Einstiege in Bowies Welt. Mit zarten 12 Jahren fand ich den eingängigen Popsound hörens- und betanzenswert. Später lehnte ich die Produktionen aus den 80ern natürlich ab – für Hardcore-Fans gehörte sich das so – heute habe mich mit den Songs arrangiert: »Put on your red shoes and dance the blues!«

Mehr als die Singles und Videos, die im Radio oder bei »Formel 1« liefen, nahm ich in den Jahren darauf nicht wahr. Mein intensives Interesse an Bowies Arbeit flammte erst etwas später mit der Kompilation »ChangesBowie« auf. Wann ich sie kaufte, kann ich nur noch schätzen, es muss um 1989 gewesen sein. Von da an begann meine Reise durch das Bowie-Universum. Von heute aus betrachtet, fällt mir auf, dass ich mich recht genau chronologisch rückwärts durch sein Werk »gearbeitet« oder sollte ich besser sagen »gelebt« habe? Es fing an mit dem Album und gleichnamigen Song von 1980: »Scary Monsters… And Super Creeps«.

1980: Monsters and Creeps

Wie ist die Situation am Anfang des beginnenden Jahrzehnts? Bowie lässt sich von Angela, von der er zu dem Zeitpunkt seit drei Jahren getrennt lebt, scheiden und erhält das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn. Er nimmt ein Engagement am Broadway an und spielt in »Der Elefantenmensch«. Das Stück ist für ihn spannend, weil ihn Menschen, die wegen psychischer oder physischer Abnormitäten – die von vielen leider auch als Monster bezeichnet werden – an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, interessieren. In der sogenannten Berlin-Trilogie, bestehend aus »Low«, »Heroes« und »Lodger«, hatte er in den Jahren zuvor künstlerisch vieles ausprobiert, aber nur dürftig Platten verkauft. Daher rührt wohl jetzt der Anspruch, sowohl kommerziell erfolgreiche Hitsingles, als auch anspruchsvolle Alben zu erschaffen. Der Spagat gelingt ihm mit »Scary Monsters… And Super Creeps«.

 

Bowies Scary Monsters

 

 

Bowie auf dem Weg zum Mainstream-Pop

Das Album ist sein Übergang in den Mainstream-Pop der Achtziger. Er selbst sagt: »Scary Monsters war für mich eine Art innere Reinigung. Ich bin damit Gefühle losgeworden, die mir Unbehagen bereiteten.« Welche Gefühle das sind, verrät er uns leider nicht. Sind es die Monster aus der eigenen Vergangenheit, die ihn bewegen? Wird Major Tom im Song »Ashes to Ashes« zum abgewrackten Junkie, weil er nicht mehr wichtig ist, wichtig sein darf? Wenn ja, ist es ein genialer Schachzug von Bowie. Er »diskreditiert« Major Tom, um sich von ihm – und damit von sich selbst – zu distanzieren und gleichzeitig Kapital daraus zu schlagen. Das Stück schlägt auch auf Grund des Textes Wellen in der Öffentlichkeit, wird zum Hit und ebnet ihm den Weg zum Mainstream-Pop. Mit Scary Monsters gelingt ihm genau der Drahtseilakt, den er sich vorgenommen hatte: Kunst und Kommerz zu verbinden.

Mir gefiel schon damals vor allem der titelgebende Song. Vielleicht ging das auch David Bowie so, er spielte ihn häufig live auf Konzerten, dazu aber später mehr. Scary Monsters ist sozusagen die musikalische Zusammenfassung des Albums. Mal poppig, mal rockig mit einem ausgedehnten Gitarrensolo von Robert Fripp im zweiten Drittel des Stücks. Bowie singt den Song im ausgeprägten Londoner Cockney-Slang, der untypisch für ihn ist. Der Text handelt von einer Frau, die verrückt wurde. Es scheint, dass er nicht unschuldig daran ist: »… I gave her a dangerous mind. Now she’s stupid in the street and she can’t socialise«. Verfolgen ihn deshalb die Monster, die ihn aus Angst immer weiter rennen lassen?

Komplizen im Bowie-Universum

Scary Monsters bringt eine Facette in Bowies Schaffen zum Vorschein, die mit dem, was wir als Kultur-Komplizen fördern, korreliert: Die Zusammenarbeit in Komplizenschaften. Oben erwähnte ich, dass der Song wiederkehrend auf Bowies Konzerten zu hören war. Außergewöhnlich ist, dass er das Stück immer wieder mit anderen Künstlern zusammen spielte. Zu den Protagonisten zählen Frank Black (Pixies), Trent Reznor (Nine Inch Nails) und Stevie Ray Vaughn. Bei allen Variationen arbeitet der Künstler mit anderen Musikern zusammen, um etwas Neues zu erschaffen. Jedes Mal, auch schon in der ursprünglichen Albumversion, lässt er seinen Komplizen den Freiraum, um Eigenes mit einzubringen, um den Song zu beeinflussen, das Bestehende zu transformieren. Deutlich wird das am Gitarrensolo, beim dem die Komplizen ihre eigene Interpretation einbringen. Teilweise wird daraus auch ein Saxophon-Solo, wie auf der Moonlight-Tour.

Das Ziel von Bowie und seinen Komplizen: Gemeinsam etwas Neues zu erschaffen, neue Perspektiven zu eröffnen und den Song in den Kontext seiner jeweiligen Zeit zu bringen. Daraus entsteht jedes Mal ein unwiederholbares, abgeschlossenes Komplizenstück, ein einzigartiges Unikat. Wie sich das anhört, bitte sehr:

Mit Frank Black: https://www.youtube.com/watch?v=wCNelxxc1JE

Mit Stevie Ray Vaughn: https://www.youtube.com/watch?v=3upG8KYUKx0

Mit Trent Reznor: https://www.youtube.com/watch?v=B8rxWlUF3Eg

Live auf der Moonlight-Tour 1980: https://www.youtube.com/watch?v=N_6I3o-j2-I

Live 1997: https://www.youtube.com/watch?v=3FwemvJU8j4

 

Viele Grüße
Stefan Röcker

 

Bildquellennachweis: Daniela Röcker

 

Teil 1 der Bowie-Hommage

Teil 3 – Under Pressure