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Ich bin zu spät und hab die Deadline zur Blogparade #NewWork17 von Dr. Winfried Felser gerissen. Das liegt daran, dass ich hauptsächlich im Untergrund arbeite, wie Komplizen das nun mal so machen, und nur ab und zu an die Oberfläche komme. Sei’s drum, ich denke die Blogparade kann noch einen weiteren Aspekt vertragen.

Nachhaltige Unternehmenskultur

Mein Untergrund heißt Unternehmenskultur, und zwar nachhaltige Unternehmenskultur im Sinne sozialer Nachhaltigkeit (mehr dazu hier). Soziale Nachhaltigkeit ist ein Begriffsgebilde aus dem Modell der Nachhaltigkeit (integrierendes Nachhaltigkeitsdreieck), das sich aus den drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammensetzt.

Die Verbindung zur tieferen Essenz des Konzeptes New Work liegt auf der Hand: lasse ich verkrustete Hierarchien hinter mir, etabliere Fehlerfreundlichkeit und Transparenz und biete die Möglichkeit zu mehr Selbstbestimmung und Partizipation, dann kann – bitte den Konjunktiv beachten – das in eine Dimension sozialer Nachhaltigkeit führen. Und damit zu einem Lebensraum, den ich wirklich, wirklich will. Somit bin ich bei der Idee Frithjof Bergmanns.

Die „soziale Frage“ um 1900

Jetzt kann man natürlich trefflich darüber streiten, ob New Work etwas Neues ist oder nicht. Denn eine vage Vorstellung von New Work, bzw. eine Idee von guter Arbeit taucht bereits um 1900 in Paris neben der Weltausstellung auf. Ergänzend zu den damals revolutionären technischen Neuerungen und Entwicklungen (man beachte die Nähe zu unserer heutigen technologischen Digitalisierung), machten sich in den Salons dieser Zeit kluge Menschen bereits Gedanken um die „soziale Frage“. Hintergrund waren die Entwicklungen im Zuge der industriellen Revolution in England und Frankreich, die FabrikarbeiterInnen und ihre Familien in desaströsen Zuständen leben und arbeiten ließen. Deutschland schlummerte da noch in bäuerlicher Unschuld.

New Work als Innovationsbegriff

Sehe ich in „New Work“ etwas fundamental Neues, dann spielt mir – wenigstens in Bezug auf die Begrifflichkeit – sowohl die zeitgeschichtliche Betrachtung als auch die Diffusionstheorie positiv hinein. Historisch gesehen ist der Begriff noch in der Pubertät – 13 Jahre alt, d.h. zu jung, um zeitgeschichtlich erfasst zu werden (dazu wären ca. 30-50 Jahre notwendig). New Work ist in diesem Kontext daher aktuell „nur“ ein Phänomen, das beobachtet werden kann.

Im Kontext der Diffusionstheorie könnte New Work als Grundlageninnovation begriffen werden, da zur Umsetzung eine hohe Veränderung und ein Kulturwandel notwendig ist. Die Diffusionstheorie untersucht den raum-zeitlichen Verbreitungsprozess, den eine Innovation durch ihre zunehmende Adoption in einem sozialen System durchläuft (siehe z.B. Diffusions of Innovations, E.M. Rogers). Wendet man in diesem Zusammenhang die Theorie an, braucht eine solche Innovation ca. 25-30 Jahre, bis die Mehrheit sie adaptiert hat. Da ist also noch Spielraum zum Entfalten und Entwickeln.

Fucking Unternehmenskultur

Doch egal, ob man in New Work etwas Neues oder etwas Bekanntes sieht, den Bodensatz zur Umsetzung all der vielfältigen Ideen, Methoden und Maßnahmen bildet die Unternehmenskultur. Und zwar die, die zum Zeitpunkt, an dem man wie auch immer New Work umsetzen will, vorliegt. Da lohnt es sich genau hinzuschauen und von Grund auf zu überlegen, wo man eigentlich starten kann. Denn mit New Work ist es wie mit der Gesundheit. Natürlich kann ich mit unzähligen Medikamenten Symptom um Symptom bekämpfen und lindern. Letztendlich ist es aber sinnvoller – und vor allem nachhaltiger, die Ursache zu betrachten und an der Wurzel zu arbeiten.

Kultur im Anthropozän

Dennoch will niemand an die Unternehmenskultur ran. Warum das so ist, ist relativ einfach. Kultur ist einer der Begriffe, die eine derart hohe Bedeutungsdichte haben, dass er inflationär verwendet wird. Alles ist irgendwie Kultur und tatsächlich stimmt das auch. Wir leben in Zeiten des Anthropozäns, d.h. der Mensch hinterläßt nicht nur oberhalb der Erdkruste seine Spuren, sondern wir sind bereits in der Erdkruste als Schicht sichtbar. Seit Generationen kultivieren wir den halben Erdball und dürfen uns als organische Kulturwesen bezeichnen.

Gleichzeitig sehen wir Kultur nicht als Teil von uns, sondern nehmen sie als etwas Abstraktes, von uns Abgekoppeltes wahr. Wir verweisen Kultur in den Bereich der sogenannten Hochkultur und konsumieren das Ergebnis in Theater, Film, Kunst, etc. Und dennoch hat jeder von uns eine eigene kulturelle Identität, die an allen Orten Wirkung entfaltet, an denen wir uns aufhalten.

Unternehmenskultur kann daher nie isoliert betrachtet werden. Eine rein isolierte Betrachtung führt immer dazu, dass wertvolles Potential zur Weiterentwicklung unberücksichtigt bleibt.

Die Vorstellung von Unternehmenkultur

Über Unternehmenskultur wurde schon unendlich viel gesagt und geschrieben. Jeder hat eine Vorstellung davon, was Unternehmenskultur ist und was nicht. Und genau das ist das Problem – die Vorstellung. Denn die Vorstellung von Etwas ist sowohl individuell erfahrbar als auch kollektiv vereinbart, wie z.B. unsere Sprache, und daher schwierig auf einen Nenner zu bringen und schon gar nicht pauschal.

Fragt man z.B. Berater, woher diese Unternehmenskultur denn kommt und wer oder was sie ins Unternehmen gepflanzt hat, bekommt man üblicherweise zwei Antworten. Erstens: Unternehmenskultur ist einfach da, sie ist irgendwie entstanden. Zweitens: Der oder die Unternehmensgründerin hat sie mitgebracht. Ähm, nein. Weder noch.

Wie wird ein Unternehmen Kultur?

Statt zu fragen „Was ist Unternehmenskultur?“ wäre die zielführendere Frage „Wie wird ein Unternehmen Kultur?“ Zunächst einmal ist Kultur kein Zustand, sondern ein permanenter Prozess aktiven Gestaltens und Handeln aller Beteiligten. Daraus folgt häufig der Trugschluss, dass man Kultur direkt verändern könne. Denn wenn ich aktiv gestalten kann, kann ich doch auch verändern, oder?

Kulturwandel einleiten = Bullshit

Grundsätzlich kann ich das, aber nur die eigene kulturelle Identität und nicht das Modell Kultur, das untrennbar mit Bildung verknüpft ist. Bildung ist ein Akt der Aneignung, erst danach erfolgt das Gestalten. Verändere ich mich bewusst (weil ich mich vorher gebildet habe) dahingehend, wie ich etwas gestalte, dann wirkt das auch auf das Modell Kultur – völlig egal, ob ich dieses Modell auf ein Unternehmen anwende oder meine Nahrungsaufnahme oder die Art, wie ich mich fortbewege. Wenn CEO’s neuerdings „einen Kulturwandel einleiten“, dann geschieht das auf rein sprachlicher Ebene (dazu in einem späteren Artikel mehr), nicht in der Realität. Was real passiert, ist, dass Menschen in diesem Zusammenhang Dinge umsetzen, von denen man hofft, dass sie zu einem Kulturwandel führen. Diesen Wandel kann man jedoch erst im Rückblick als Wandel erkennen.

Scheins Kulturmodell als Basis zum Weiterdenken

Wer in dieses fiese und komplexe Thema einsteigen will, dem empfehle ich das Kulturmodell von Edgar H. Schein (Prof. emer. MIT Sloan School of Management), welches für mich nach wie vor das überzeugendste Basismodell ist, auf dem man aufbauen kann.

Ergänzend dazu ist es sinnvoll, mit den wichtigsten Irrtümern, die für den Kontext New Work relevant sind, aufzuräumen:

  1. Es gibt eine Unternehmenskultur.
    DIE Unternehmenskultur ist ein Begriffsmodell und existiert nicht real. Unternehmenskultur ist ein Prozess, ein vierdimensionales Feld, aber kein statischer Zustand, auch wenn der substantivische Begriff uns das suggerieren möchte. Innerhalb dieses Prozesses leben unendlich viele kulturelle Artefakte und Identitäten mit unterschiedlichen Schnittstellen und Wechselwirkungen untereinander. Wenn das Unternehmen tot ist, leben die Kulturen weiter – entweder an Ort und Stelle (Materie, Pflanzen, Boden, Luft) oder in anderen Räumen (Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden).
  2. Unternehmenskultur kann verändert werden.
    Als Antwort auf die Frage „Wie können wir unsere Unternehmenskultur verändern?“ muss ich grundsätzlich weinen oder gähnen. Schon mal versucht, aktiv den eigenen Partner zu verändern? Geht entweder gar nicht oder falls es irgendwie klappen sollte, ist die Beziehung hinterher im Eimer. Genauso ist es mit der Unternehmenskultur.
  3. Unternehmenskultur kann gemessen werden.
    Gegenfrage: Warum sollte sie gemessen werden? Was ist das Ziel einer solchen Messung? Kulturen sind organische Wesen, das sagt eigentlich alles. Organische Wesen haben die Eigenschaft, dass sie selbst im Ruhezustand Bewegung erzeugen. Eine Messung, gleich welcher Art, ist mit den bisherigen Messmethoden immer nur eine Momentaufnahme und ein Fragment.
  4. Unternehmenswerte zeigen die Unternehmenskultur.
    „Unsere Unternehmenskultur ist in den Werten unseres Leitbildes sichtbar.“ – Schon mal gehört? Dann bitte aus dem Gedächtnis streichen. Werte wie z.B. Vertrauen sind abstrakte Begriffe, die mit Bedeutung aufgeladen wurden. Alle Mitarbeiter*innen im Unternehmen haben eine andere Interpretation und ein eigenes Verständnis von diesen Werten. Werte können nur insoweit eine Unternehmenskultur sichtbar machen, als dass die Begriffe regelmäßig in ihrem Bedeutungsgehalt hinterfragt und justiert werden.

Was funktioniert und aktiv gemacht werden kann:

  • Das Modell der Unternehmenskultur kann beobachtet werden. Um beobachten zu können, braucht es zunächst Distanz. Dann Nähe, Tiefe und Reflexion. Dann Gestalten und Handeln.
  • Handeln im Kontext Unternehmenskultur bedeutet, Rahmenbedingungen für dieses Feld zu verändern. Dann ändert sich langfristig auch die Kultur.

New Work ist Teil einer verantwortungsvollen Unternehmenskultur

Soziale Nachhaltigkeit im Unternehmen beinhaltet genau diesen Dreiklang: Beobachten. Reflektieren. Aktiv und Bewusst Gestalten. Dann klappt es nicht nur mit New Work, sondern kann weitergehen in die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit hin zu einem verantwortungsvollen Unternehmen. Das ist keine Utopie, sondern kann an einer Vielzahl von Unternehmen real beobachtet werden.

Herzliche Grüße
Daniela

 

Bildquellennachweis: Pixabay, CC-0, gemeinfrei