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Diversity Management im deutschen Mittelstand: Zum Valentinstag 2016 postete die Burladinger Firma Trigema auf ihrer Facebook-Seite ein Foto zweier Menschen – ein Schwarzer Mensch, ein weißer Mensch, ein Herz in der Mitte. Ein reales Pärchen aus der „Betriebsfamilie“ Trigema, wie man später erfuhr. Der Satz dazu: „Liebe ist, wenn zwei Herzen wie eins schlagen. Wir wünschen Ihnen einen schönen Valentinstag.“ Hübsch, oder?

Klare Kante gegen Hatespeech

Ja, sehr hübsch, denn der überwiegende Teil der User fand das Foto klasse und äußerte sich entsprechend. Doch Trigema bekam zum Posting auch etliche Kommentare, die eindeutig rassistisch und diskriminierend waren. Kommentare, die aktuell online wie offline häufig geworden sind und denen klare Grenzen gesetzt werden müssen. Trigema tat dies und zeigte die Rassisten bei Facebook an. Wie erwartet, sah Facebook keinen Grund zur Reaktion. Soweit, so typisch. Hier ist noch Überzeugungsarbeit notwendig, aber das ist ein anderes Thema. Interessanterweise gibt es online aus dem Umfeld derer, die sich für Vielfalt und gegen Rassismus einsetzen, auch kritische Stimmen zum Thema. Wie kann das sein?

Die Kritik der „Color blindness“

Die moderat kritischen Stimmen beziehen sich nicht auf das Foto selbst, sondern auf das Interview, das Juniorchefin Bonita Grupp und Seniorchef Wolfgang Grupp der ARD gaben. Im Interview sagt Bonita Grupp: „Wir haben uns nichts dabei gedacht“, Wolfgang Grupp ergänzt ein paar Minuten später: „… indirekt auch andere Hautfarben. Das spielt gar keine Rolle, für uns ist der Mensch wichtig.“ In diesen Worten liegt unvermuteter Zündstoff und sollte mit Blick auf das betriebliche Diversity Management näher betrachtet werden.  Es geht um das Selbstbenennungsrecht einer ethnischen Gruppe als Identitätsmerkmal.

Das Recht auf Selbstbenennung

Jede ethnische Gruppe hat das Recht, sich selbst zu benennen. (Schwarze als „Schwarz“, Weiße als „Weiß“ als bekannteste Benennungen). Insbesondere mit den Worten „das spielt gar keine Rolle“ setzt sich im Interview ein weißer Mensch über dieses Recht hinweg und negiert darüber hinaus die Identität der anderen. Damit unterstreicht er den sogenannten systemischen Rassismus. Dieses Verhalten ist noch recht fest in unserer weißen privilegierten Welt verankert. Es ist sinnvoll, sich bewusst zu machen, dass wir mit rassistisch gefärbten Denkmustern aufwachsen. Diese Muster bemerken wir aus unserer eurozentrischen Sichtweise heraus oft nicht. Ich nehme mich da nicht aus – auch mir gelingt es längst nicht immer, im Alltag meine Muster zu erkennen. Das Verhalten, welches aus diesem Denken resultiert, wird zu Recht als „Color blindness“ in Bezug auf Hautfarbe, Lebensrealität und Kultur kritisiert. Man lässt den historischen Kontext der Kolonisation, der Aneignung und des Kapitalgefälles globaler Norden/globaler Süden außer Acht.

Wer hat die Deutungshoheit?

Der Begriff Deutungshoheit hat mit Machtausübung zu tun. Deutungshoheit meint, dass ein Einzelner oder eine Gruppe das alleinige Recht beansprucht, zu interpretieren, wie etwas sich verhält – nicht weil er/sie es wahrhaftig besser weiß (wer könnte dies objektiv auch je für sich annehmen?), sondern weil sie aufgrund vielfältiger Ursachen, Prozesse und Strukturen die Macht dazu hat. Im Kontext Rassismus hat die Gruppe der westlichen weißen Menschen diese Deutungshoheit übernommen. Dieser Umstand sollte ausgesprochen werden – insbesondere im Unternehmenskontext. Nur so kann Dialog und Reflexion entstehen – die Kommunikationsbasis für ein zukunftsfähiges Unternehmen.

Systemischer Rassismus

Exakt in diesen kommunikativen Kontext fallen auch „gutgemeinte“ Äußerungen wie: „Deine Hautfarbe ist mir gar nicht aufgefallen“ oder „Nein, sie ist doch nicht schwarz, eher braun“. Diese Formulierungen helfen uns nicht, Rassismus zu überwinden – im Gegenteil, dies zementiert eine neue Form von Rassismus, nämlich durch das Negieren erlebter Realität. Es ist wichtig, dass Schwarze als Schwarze anerkannt und erkannt werden. Erst wenn diese Identität hergestellt ist und damit der Unterschied auf eine empathische Weise erkannt wird, der Umgang miteinander wertschätzender und respektvoller wird, kann systemischer Rassismus überwunden werden. Eine Studie zum Projekt „Everyday Racism at the workplace“ (ERAW-Projekt) bietet hier einen guten Einstieg ins Thema.

Schwarzer Deutscher?

Auch wenn das Thema „Color blindness“ in Deutschland weniger präsent ist, als z.B. in den USA, so haben wir doch unsere eigenen hausgemachten Baustellen. Das Valentinsfoto gibt keinen Aufschluss darüber, ob der Schwarze Mensch ein Schwarzer Deutscher oder ein Mensch mit Migrationshintergrund ist – dies ist übrigens bei jedem Foto, das Personen zeigt, so. Wer also in dem Foto ausschließlich einen ausländischen Mitbürger oder einen Neubürger aus den aktuellen Kriegsgebieten erkennt – völlig egal, ob er/sie diesen Gruppen gegenüber wohlgesonnen ist oder nicht – den möchte ich zur Reflexion über das Gedachte anregen.

 

Hier steckt Diversity drin.

Trigema hat vieles richtig gemacht

Trigema hat vieles richtig gemacht – und zwar im Bereich des realen unternehmerischen Handelns. Das Wesen eines Unternehmens besteht zuallererst in der Erstellung von Produkten oder Dienstleistungen und der Distribution derselben. Darunter ordnen sich alle weiteren Handlungsfelder. Wolfgang Grupp referiert mit seiner Formulierung auf das gemeinsame unternehmerische Handeln und damit auf das Handeln der dort arbeitenden Personen. Mit dieser Verschiebung des Kontexts vom reinen Dasein und Wesen der einzelnen Person hin zu ihrem tatsächlichen Handeln in einem anspruchsvollen und komplexen Arbeitsalltag rücken ethnische Unterschiede in den Hintergrund. Das Handeln selbst tritt in den Vordergrund, der eigentliche Unterschied liegt nicht mehr in der Hautfarbe, sondern im Tun oder Nicht-Tun. Dieses Phänomen beschreibt der amerikanische Soziologe Richard Sennett sehr anschaulich und detailliert in seinem Buch „Zusammenarbeit“.

Diversity Management im deutschen Mittelstand

Diversity wird künftig eine immer größere Rolle in mittelständischen Unternehmen spielen. Diversity ist Teil der Unternehmenskultur und Teil von CSR (Corporate Social Responsibility) – sowohl im Handlungsfeld Arbeitsplatz als auch im Handlungsfeld Gemeinwesen. Migrationsforscher Jens Schneider (Uni Osnabrück) geht laut einem taz-Artikel vom 02.03.2016 davon aus, dass ethnische Unterschiede an Bedeutung verlieren werden: „Durch immer mehr gemischte Familien gibt es keine eindeutige ethnische Zuordnung mehr.“ Dies sieht er als „Chance für die Demokratie, denn demokratische Werte werden attraktiver, je weniger Menschen ausgegrenzt werden.“

Es wäre jedoch möglich, dass es gerade aufgrund dieser Entwicklung wichtig für das Individuum wird, eine oder mehrere klare selbstbenannte Identitäten zu haben, die sich exakt in Sprache ausdrücken lassen. Bis es soweit ist, stehen u.a. Unternehmen in der Verantwortung, einen geschützten und wertschätzenden Raum für diese Entwicklung zu schaffen und entsprechend sensibel und empathisch zu handeln und zu kommunizieren.

Diversity in der Kommunikation

Diversity Management zeigt sich stark in der Unternehmenskommunikation. Externe Stakeholder, wie Kunden, Lieferanten, potentielle Arbeitnehmer, sind nicht nur weiße Menschen. Dies sollte in der externen Kommunikation, wozu natürlich auch das ARD-Interview von Trigema zählt, in Bezug aufs Diversity Management berücksichtigt werden. Zum Interview ist weiterhin kritisch anzumerken, dass zwar neben der Geschäftsführung auch Mitarbeiter zu Wort kamen, diese jedoch ausschließlich Produktionsmitarbeitende sind. In der Produktion findet man in deutschen Unternehmen traditionell mehr kulturelle Vielfalt, als im kaufmännischen Bereich oder im Management. Warum fehlt ein Statement von Büromitarbeitenden? Gehören diese nicht zur Vielfalt lebenden „Betriebsfamilie“?

Trigemas Fazit

Trigema hat sowohl konkret auf die Hass-Kommentare reagiert als sich auch ganz grundsätzlich gegen Diskriminierung und Rassismus ausgesprochen. Im Blogpost vom 29.02.2016 zum Internationalen Tag gegen Rassismus (21. März 2016) heißt es zudem: „In erster Linie müssen wir dafür sorgen, dass wir genug Mitarbeiter in der Produktion haben, damit die Produktion nicht stillsteht. Da ist die Nationalität doch völlig egal, ob ein Deutscher an der Nähmaschine sitzt oder ein Pakistaner – das spielt für uns keine Rolle. Hauptsache die Person versteht etwas von ihrem Handwerk.“ In diesem Post wird Rassismus reproduziert mit der Formulierung „…die Nationalität doch völlig egal…“. Wenn im gemeinsamen täglichen Handeln „Nationalität“ keine Rolle spielt, ist es unnötig, diese in der Unternehmenskommunikation hervorzuheben.

Es ist tatsächlich nicht einfach: Erstens muss uns im Handeln der kulturelle Unterschied bewusst sein und wir sollten Verantwortung zeigen und respektvoll miteinander umgehen. Diversität ist ein bereicherndes Potential für unsere gesellschaftliche wie individuelle Entwicklung. Zweitens ist es in unserer Sprache notwendig, Diversität als Normalität zu formulieren und nicht durch Markierungen, auch wenn sie gut gemeint sind, Differenz und Diskriminierung zu reproduzieren.

Wir stecken mitten in einem langen Lernprozess. Wir werden weiterhin Fehler machen, aber diese konstruktiv zur Verbesserung nutzen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen.

Randbemerkung 1: Den Fauxpas schlechthin liefert im ARD-Interview übrigens nicht Trigema, sondern die ARD selbst. In der Einleitung zum Interview beschreibt der Sprecher das Foto mit den Worten: „…er Farbiger, sie Weiße…“. Die Zuschreibung „Farbiger“ ist laut der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ und ADEFRA (Schwarze Frauen in Deutschland) eindeutig rassistisch und wird von aufgeklärten Medien nicht verwendet.

Randbemerkung 2: Lieber Herr Grupp senior, übergeben Sie den Staffelstab unbesorgt an Ihren Nachwuchs. Als Kundin sähe ich gerne eine weibliche Führung oder eine Doppelspitze, wenn das Unternehmen weiterhin hierarchisch geführt werden soll (Alternative siehe www.unternehmensdemokraten.de). Liebe Frau Grupp, viel Erfolg, Sie sind auf einem guten Weg und Sie werden das Ding gemeinsam mit Ihrem Team rocken.

Herzliche Grüße
Daniela Röcker

 

Weblinks:
http://blog.trigema.de/gegen-diskriminierung/?utm_source=social&utm_medium=facebook&utm_campaign=b_diskriminierung
http://www.ardmediathek.de/tv/Landesschau-Baden-W%C3%BCrttemberg/Shitstrom-bei-TRIGEMA/SWR-Baden-W%C3%BCrttemberg/Video?bcastId=250286&documentId=33749964
http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41722/kleiner-formulierungs-ratgeber-fuer-journalisten
http://www.derbraunemob.de/faq/
http://www.theguardian.com/commentisfree/2015/jan/26/do-not-see-race-ignoring-racism-not-helping

https://www.unesco.de/wissenschaft/rassismus/welttag-gegen-rassimus.html

Zum Weiterlesen empfohlen:
Anne Chebu; Anleitung zum Schwarzsein, Unrast Verlag
Noah Sow; Deutschland Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus; Goldmann
Jens Schneider; Generation Mix – Die superdiverse Zukunft unserer Städte und was wir daraus machen, waxmann
Richard Sennett;  Zusammenarbeit – Was unsere Gesellschaft zusammenhält; dtv
taz-Artikel vom 02.03.2016, Interview mit Jens Schneider „Die herrschende Klasse ist noch weiß“, Autor: Peter Weissenburger

ERAW-Studie „Alltagsrassismus am Arbeitsplatz“

Für die Kommunikationsabteilung:
http://www.adb-sachsen.de/tl_files/adb/pdf/Leitfaden_ADB_Koeln_disfreie_Sprache.pdf
http://www.redaktionzukunft.de/diya

Demokratie in Unternehmen:
http://www.unternehmensdemokraten.de/
http://www.unternehmensdemokraten.de/blog/

Bildquellennachweis:
Daniela Röcker (Grafik oben), Fotolia_52499541 – wavebreak media ltd.