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Schon mal was von Unternehmensdemokratie gehört? Nein? Dann wird es aber höchste Zeit. Unternehmensdemokratie ist keine Utopie, sondern schon längst Wirklichkeit. Anschaulich belegt das die Arbeit von Dr. Andreas Zeuch, der sich lange Zeit intensiv mit dem Thema beschäftigt hat und der daraus sein neues Buch „Alle Macht für Niemand“ entstehen ließ. Mit konkreten Beispielen und anhand von Studien unterfüttert er das Thema, das nicht die nächste Sau ist, die durchs Dorf getrieben wird, sondern das in die nächste Stufe von Unternehmensentwicklung einleitet.

Aktuell sehen wir eine Entwicklung hin zu mehr Mitbestimmung in Unternehmen, die u.a. durch die zunehmende Digitalisierung befeuert wird, aber auch durch den Konkurrenzdruck, den Startups auf etablierte Firmen ausüben, indem sie agil führen und situativ auf Anforderungen reagieren. Grundsätzlich ist diese Entwicklung zu begrüßen. Bleibt sie jedoch auf dem Level „Probieren wir es halt mal aus, wir können ja immer noch zurück“ bleibt unglaublich viel Potential ungenutzt und die Partizipationsansätze werden zum bloßen Make-up.

Als Komplizin guter Unternehmenskultur unterstütze ich die Entwicklung hin zu mehr Demokratie in Unternehmen. Warum eigentlich? Was hat die Arbeit der Kultur-Komplizen mit Unternehmensdemokratie zu tun? Die Antwort liegt in unserer grundlegenden Arbeit. Unsere Arbeit basiert auf dem Verständnis des erweiterten Kunstbegriffs von Joseph Beuys sowie dessen Sozialer Plastik. Das Denken von Joseph Beuys begleitet uns jeden Tag.

Demokratie war ein zentraler Aspekt im Denken und Handeln von Beuys. Er bemängelte schon früh, dass die gesellschaftlichen Umstände nur wenigen Eliten nutzten und dass eine Transformierung der Gesellschaft auf der Basis von mehr und allgemein zugänglichem Wissen anstrebenswert sei. Beuys handelte. Zur documenta 5, im Jahr 1971, richtete er im Museum Fridericianum für 100 Tage die „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ ein und diskutierte dort mit den Besuchern. Beuys war an jedem der 100 Tage anwesend.

Beuys

Im gleichen Jahr gründete er die „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ an der Alexanderstraße 25 in Düsseldorf. „Unser Infobüro für direkte Demokratie ist ein einfaches Büro in der Straße mit einem Schaufenster nach draußen. Dort werden alle möglichen Informationen immer wieder ausgehängt. Jedermann kann hineingehen und sich Informationen holen und sich auch etwas Geschriebenes mitnehmen. Da können sich auch Gruppen hinsetzen und miteinander reden.“

Auch wenn es das Büro in Düsseldorf heute nicht mehr gibt – die Idee entwickelte und verbreitete sich. Bis heute fährt der „Omnibus für direkte Demokratie“, eine Bürgerinitiative für die Beuys den Impuls setzte, durch die Republik und setzt sich für Volksabstimmungen ein. InitiatorInnen des „Omnibusses“ sind die Künstlerin Brigitte Krenkers und Johannes Stüttgen, Wegbegleiter und Meisterschüler Beuys‘.

Beuys strebte eine gesellschaftliche Veränderung mit hohem Anteil an Volksabstimmungen an. Seine Vision – eine demokratische sozialistische Grundordnung. Auch wenn uns heute das Wort „sozialistisch“ sehr weit entfernt und nicht unbedingt positiv scheint, war Anfang der 1970er Jahre diese Idee möglicherweise eine Art denkbare Alternative zu herrschenden Verhältnissen.

Beuys‘ Denken ist heute genauso aktuell wie zu damaliger Zeit. Beuys sah den Ansatz zur Veränderung zunächst im Bildungssystem. Aber auch und gerade im Arbeitsleben sollten die Menschen „ihre Kreativität nicht an der Stempeluhr abgeben“. Heute ist das Arbeitsleben unser Identifikationsfaktor Nr. 1. Die aktuell gelebte Organisation von Unternehmen insbesondere im deutschen Mittelstand – mehrheitlich hierarchisch und tayloristisch – steht jedoch völlig konträr zu unserem gesellschaftlichen Verständnis von Demokratie, Freiheit und Selbstentfaltung. Grundsätzlich gibt es zwar überwiegend Mitbestimmung in Betrieben, aber diese bewegt sich auf eher niedrigem Niveau und auf rein operativer Ebene.

Vor dem Hintergrund zunehmender Digitalisierung der Arbeit, Umwandlung von Arbeitsverhältnissen und schwer vorhersehbarem Wettbewerb wird in solch konservativen Strukturen und Hierarchien die Chance vertan, wirkliche Innovationen aufkommen zu lassen und damit Unternehmen überlebensfähiger zu machen.

Beuys‘ Forderung nach mehr Selbstbestimmung und Selbstgestaltung klang damals vielleicht avantgardistisch, heute ist sie zu einer Notwendigkeit geworden.

(Quelle: Harlan, Rappmann, Schata; Soziale Plastik – Materialien zu Joseph Beuys, 3. Aufl. 1984 Achberger Verlag)

Der Omnibus auf Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=N8wfY6sTREU